Gabriele Münter: Stillleben Pfingsten, 1934, Öl auf Pappe, Gabriele Münter und Johannes Eichner-Stiftung, München

Die Taube

Geht es hier um Pfingsten, Fronleichnam oder zeigt das Bild bloss eine Brieftaube?

Die Künstlerin Gabriele Münter sammelte Volkskunst und Heiligenfiguren. Besonders angetan hat es ihr ein volkskundlicher Wandschmuck aus dem Tirol im Zusammenhang mit Fronleichnam: eine hölzerne Taube mit einer Hostie im Schnabel. Dieser Wandschmuck – ist es nun Pfingsten, Fronleichnam oder eine Brieftaube? – ist auf verschiedenen Bildern von ihr zu sehen.

Von Sandro Fischli

In der am 8. Mai zu Ende gegangenen Ausstellung über das Lebenswerk von Gabriele Münter im Zentrum Paul Klee wurde ich auf ihre Bilder aufmerksam. Die Malerin bezog sich auf religiösen Wandschmuck an Fronleichnam, hier Volkskunst aus dem Tirol. Sie nennt ihre drei Bilder dieser Volkskunst zwar «Stillleben Pfingsten». In katholischen Herzlanden wie dort oder bei uns im Wallis wird Fronleichnam mit grossen Feierlichkeiten und Prozessionen begangen.

Als Kind konnte ich einmal im Tirol an einer Fronleichnamsfeier teilnehmen. So wurde ich besonders auf Gabriele Münters Bilder und den Wandschmuck aufmerksam. Mich hatte damals der Name des Festtags erschreckt, ein leichtes Grauen, das mich bis heute nie ganz verlassen hat und das mit weiteren Namen wie dem Defilee der Walliser «Herrgottsgrenadiere» nur noch aufrechterhalten wird. Was ist mit diesem frohen Leichnam und kriegerischen Ehren?

Später verstand ich, dass «Fron» ein altertümliches Wort für «Herr» ist, wie in Frondiensten, die dem Herrscher geleistet werden mussten. Es ist also das hohe Gedenken, dass in der Hostie der Leib Christi verkörpert ist, auf lateinisch Corpus Christi, weniger «gfürchig» als Leichnam. Aber das Wort bewahrte für mich einen Schrecken, es blieb nicht nur unheimlich, wie dies allem Numinosen zu eigen ist, sondern war auch leicht gruselig.

Religiöse Bilderwelt

Und da stiess ich auf diesen farbenfrohen Schmuck und die Bilder davon. Der Schmuck mutet wie ein prächtiger mexikanisch-indianischer Federkranz an, die Taube wird zu einem stolzen weissen Pfau, sie trägt eine Hostie im Schnabel, die sie nun als Leib Christi überbringt. Als das alte Symbol für den Heiligen Geist ist die Taube hier deutlich eine Botin. In dieser Funktion wird mir der Heilige Geist, bis heute das Abstrakteste in der Dreieinigkeit, auf einmal näher. Diese Rolle als Brieftaube hatte sie vor langer Zeit zuvor auch schon einmal übernommen, als sie das Ende der Sintflut verkündete, indem sie mit einem Olivenzweig zurückkehrte und damit zeigte, dass wieder fester Boden betreten werden kann. Ein Regenbogen stand damals auch am Himmel und der Federkranz des Wandschmucks und auf den Bildern leuchtet gleich farbenfroh. Es ist erstaunlich, wie in der religiösen Bilderwelt alles immer wieder aufeinander bezogen ist oder bezogen werden kann.

Eine Interpretation geht hier so weit, die liegende Taube als eine tote Taube zu deuten und sie mit ihren ausgebreiteten Flügeln mit dem Gekreuzigten zu verbinden. Auch wenn in diesem Unheils- und Heilsgeschehen alles zusammenhängt, das geht mir zu weit, ich will mir da einen heiteren Eindruck bewahren. Für mich hat die Malerin einfach die liegende flache Holzskulptur gemalt. Das deutsche Wort Fronleichnam gefällt mir bis heute nicht besser. Aber ich denke nun immer an den Wandschmuck aus Tirol und die Bilder von Gabriele Münter.

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