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Durch die Blume

Kolumne aus der Inselspitalseelsorge

«Das ist aber ein krasser Job, den du hast.» «So nahe an so viel Leid!» «So viele schlimme Situationen!» «Menschen im Ausnahmezustand als tägliches Brot … Ich könnte das nicht.» Solche und ähnliche Sätze höre ich nicht selten, wenn meine Arbeit als Seelsorger im Inselspital zur Sprache kommt.

Ich bestreite nicht, dass es eine anspruchsvolle Aufgabe ist, die wir als CareTeam und Seelsorgende im Inselspital leisten; sie verlangt auch mir viel ab und hinterlässt Spuren, zieht mich bisweilen in Mitleidenschaft. Ich erlebe die Begegnungen in Krisensituationen indes auch oft als bereichernd und berührend. Menschen in ihrer Verletzlichkeit und Begrenztheit wahrnehmen und begleiten zu dürfen, empfinde ich als Privileg, als ein Resonanzgeschehen, das mich beschenkt und das Blüten treibt.

Kürzlich habe ich es ganz greifbar erlebt: Es ist schon spät. Ein bereits langer und dichter Arbeitstag mit vielen Gesprächen und Notfallsituationen will sich einfach nicht zu Ende neigen, mein Kopf und mein Bauch beginnen zu surren beziehungsweise zu knurren, als schon wieder das Telefon klingelt und das Care-Team verlangt wird. Durchatmen. Versuchen, sich frei zu machen für die neue Situation … und los geht’s. Auch hier wieder: Drama. Unfall beim Skifahren. Wahrscheinlich nie wieder gehen können. Schock. Tränen. Eine aufgelöste Ehefrau.

Und was tue ich? Einfach da sein, zuhören, mitaushalten, hier ein Glas Wasser anbieten, da eine ordnende Frage, ein aufmerksamer Blick – nicht gerade viel, was ich anbieten kann. Mit diesem etwas fahlen Gefühl verabschiede ich mich von der Frau, als sie mich unverhofft, allerdings auf meinen Ehering schielend, fragt: «Sind Sie verheiratet?» Sie nimmt den wunderschönen Blumenstrauss, den sie ihrem Mann ins Spital bringen wollte, überreicht ihn mir und sagt: «Bringen Sie den Ihrer Frau. Mein Mann ist jetzt im Koma und hat nichts davon. Sie haben mir sehr geholfen heute.»

Fast vergnügt und dankbar radle ich mit dem Blumenstrauss durch die Nacht nach Hause zu meinen friedlich schlafenden Liebsten. Die beherzte Geste der älteren Dame erwärmt mein Herz und lässt mich grosszügig über etwas unzeitgemässe Genderkonzepte hinweggesehen. Ich hatte meiner Frau schon lange keine Blumen mehr gebracht.

 

Kaspar Junker, Seelsorger im Inselspital

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