Eva-Maria Kiklas (1937-2023), setzte sie sich aktiv für eine Erneuerung der Kirche ein. Zahlreichen Ehrungen sind Ausdruck und Würdigung ihres Engagements. Foto: Vera Rüttimann

Ein beispielhaftes Leben

Zum Tod von Eva-Maria Kiklas

Eva-Maria Kiklas starb unlängst mit 86 Jahren. Sie setzte sich zeitlebens für eine Erneuerung der katholischen Kirche ein. Die Dresdnerin ist vielen ein Beispiel für ein gelungenes Leben, das von christlichem Engagement geprägt war.

Von Vera Rüttimann*

Es weht ein eisiger Wind auf dem Friedhof in Riesa. In dieser sächsischen Kleinstadt steht das Grabkreuz von Eva Maria Kiklas, hier kam sie mit ihrer Familie auf der Flucht aus Oberschlesien in den 1940er Jahren an.

Zu ihrer Beerdigung trafen sich all jene Gruppen, in denen sie sich jahrzehntelang engagiert hatte. Die Kreise aus Kirche, Literatur, Theater oder Senioren-Uni…. Hier zeigte sich noch einmal die viel zitierte Solidargemeinschaft der untergegangenen DDR.

Einige legen Gegenstände in das ausgehobene Grab. Eine Frau legt die charakteristische gelben Jutetaschen der reform-katholischen Plattform «Wir sind Kirche Deutschland» auf die Urne. Für diese Organisation wirkte Eva-Maria Kiklas viele Jahre im Bundesteam.

Pierre Stutz: «Kämpferische Gelassenheit»

In diesem Zusammenhang habe auch ich sie 1995 bei einer Aktion kennen gelernt. Viele Treffen folgten an Katholiken- und Kirchentagen. Oft erlebte ich sie dort als Moderatorin der «Gespräche am Jakobsbrunnen». Einem Format, das sie einst erfunden hatte. Sie interviewte dort Schweizer Theologen wie Hans Küng, Leo Karrer oder Pierre Stutz.

Der Bestsellerautor schreibt: «Was für ein Glück, mit Eva-Maria am Jakobsbrunnen im Gespräch zu sein. Dank ihrer liebenswürdigen Präsenz ging mir und den Zuhörenden jedes Mal das Herz auf. Sie strahlte jene kämpferische Gelassenheit aus, von der ich oft erzähle.»

«Dresden»

Schon die Fahrt von Berlin nach Dresden, dem Wohnort zu Eva-Maria Kiklas, mit der tschechischen Bahn bleibt unvergesslich. Nach der Fahrt über das platte Land folgten die ersten Hügel, Barockschlösschen und die berühmte Dresdener Stadtsilhouette mit Elbufern, Hof- und Frauenkirche. Mit ihr teilte ich die Liebe zu Dresden. Zu diesem ostdeutschen Landstrich mit seiner Kultur und Geschichte. Eine schweizerisch-ostdeutsche Annäherung, die mich tief geprägt hat.


Ihre Wohnung im Dresdner Stadtteil Strehlen war ein lichtdurchfluteter Ort. Innerlich wie äusserlich. Umgeben von grossen Bäumen, tippte Eva-Maria hier jeweils ihre «Sonntagsbriefe». Christliche Betrachtungen zur Zeit.  Zu sehen waren Bücherwände fast bis zur Decke. Darin Bände über die Barockkunst Dresdens oder über die am 13. Februar 1945 zerstörten Frauenkirche (deren Wiederaufbau sie kritisch sah). In Gesprächen erhielt ich tiefe Einblick in ein ostdeutsches, ein Dresdner Leben.

«Gottes starke Töchter»

Eva-Maria Kiklas war als Katholikin in Dresden Teil einer 3, 5-Prozent-Minderheit. Schnell fielen mir in ihrer Wohnung Bücher von Reformtheologen wie Hans Küng auf. Auf ihrem Tisch lag auch das Buch «Weiberaufstand» der Journalistin Christiane Florin. Mit grosser Neugier blicke sie auf die katholische Kirche Schweiz.

Sie wunderte sich, was Lai:innen in der Schweiz in der Kirche alles dürfen. Noch im September war sie an der Veranstaltung «Gottes starke Töchter» in Leipzig, wo sie auch auf katholische Frauen aus der Schweiz traf. Für sie war die Frauenfrage die Zukunftsfrage der katholischen Kirche.


Aufbrüche und Abbrüche

Oft ging ich mit ihr durch die Prager-Strasse in Dresden, in der «1989» eingemeisselt ist. An Orten wie hier fanden im Wendeherbst die Montagsdemos statt, von denen Eva-Maria Kiklas keine ausgelassen hat. Den Wendeherbst 1989, der zum Mauerfall in Berlin führte, war für sie «die Hoch-Zeit meines Lebens».

Ich hörte aufmerksam zu, wenn sie von ihren Lebensaufbrüchen sprach. Auch über das deutsche Kirchenvolkbegehrens, das sie 1995 als Hauptinitiatorin mitbegründete. 1,5 Millionen Unterschriften sammelte es für Kirchenreformen. 1996 erhielt die Dresdnerin den Preis der Herbert-Haag-Stiftung «Für Freiheit in der Kirche» in Luzern – gemeinsam mit Christian Weisner.

Ihre Generation erlebte auch heftige Abbrüche und Irrwege: Die zerplatzen Träume des Wendeherbstes 1989; die Agonie, in der sich die katholische Kirche befindet und an der sie litt; die Demonstranten der «PEGIDA» (eine islam- und fremdenfeindliche Organisation), die das Ansehen Dresdens in der Welt verdunkelten und ausgerechnet «Wir sind das Volk» skandierte. …

«Role Model»

In ihrer Wohnung war der Koffer immer griffbereit. Noch bis zu ihrem Sturz in Essen (D) war die 86-ährige ständig auf Achse zu Vorträgen, Diskussionen oder Vorlesungen. Sie war und ist für viele ein «Role Model» für ein gelungenes Leben. Sie hat Kampf und Kontemplation (nach Frère Roger) auf wunderbare Weise verbunden. Sie war ein Vorbild für Empathie, Lebensklugheit und lebenslanger Neugier.

Vor allem hat sie den jeweiligen Menschen «gesehen». Jemanden zu sehen, das wusste die sie, hat in der Bibel oft eine besondere Bedeutung: «Kommt und seht» (Johannes 1, 39). Diese Defizite, mit denen viele Menschen heute leben müssen, das spürte Eva Maria-Kiklas, kommt vom Un-gesehen-werden.


«Inner Sanctum»

In das ausgehobene Grab liess ich einen rot-leuchtenden transparenten Kubus gleiten. Er heisst: «The Inner Sanctum». Eine symbolische Geste. Eva-Maria Kiklas beherrschte die Kunst, ihr innerstes Allerheiligstes, ihren inneren Reichtum, trotz aller Enttäuschungen und Desillusionierungen zu schützen. Sich ein Rest an Lebensfreude und ja, Optimismus, zu bewahren. Ein beispielhaftes Leben. Ohne Menschen wie Eva-Maria Kiklas wäre ich nicht die, die ich heute bin.


*Die Journalistin und Fotografin Vera Rüttimann pendelt seit 1990 zwischen Berlin und der Schweiz. 
 

Eva-Maria Kiklas (1937-2023), setzte sie sich aktiv für eine Erneuerung der Kirche ein. Zahlreichen Ehrungen sind Ausdruck und Würdigung ihres Engagements. Ende Oktober stürzte sie auf dem Bahnhof in Essen schwer und verstarb kurz darauf im Spital. Sie wurde 86 Jahre alt. Die Beisetzung fand Ende November statt.

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