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Ein glücklicher Ausgang

Kolumne aus der Inselspitalseelsorge

Er hatte Glück gehabt. Also: Glück im Unglück. Die Schramme am Kopf war genäht, eine neue Brille hatte er bereits aus der Notfallkoje bestellt, das Handy hatte zum Glück keinen Schaden genommen. «Sie können jetzt ­gehen.» Wie schön!

Langsam hatte er sich angezogen, ­alles zusammengepackt, zuoberst die süsssaure Aufmerksamkeit eines Seelsorgers, den er kannte. Dieser hatte zwischen zwei «echten» Einsätzen und kurz vor dem Nähen am Kopf zwei ­Sekunden vorbeigeschaut.

Er öffnete den Duschvorhang, also die duschvorhangähnliche Abtrennung der Notfallkoje. Diffuse Gestalten wuselten hierhin und dahin oder standen irgendwo und waren beschäftigt. Mit Brille wären sie bestimmt klar umrissen gewesen. Mit Brille wären wohl auch irgendwelche Hinweise da gewesen – «Ausgang» oder «Lift» zum Beispiel.

«Entschuldigen Sie!» Er sprach die am wenigsten diffuse Person an, also die, die ihm am nächsten stand. «Bitte, können Sie mir sagen, wie ich hier herauskomme?»

Die Person drehte sich zu ihm, der Stimme nach eine junge Frau: «Natürlich, so wie Sie hereingekommen sind!»

Ein Blitzfilm vor seinem inneren Auge: Die Blechdecke des Ambulanzfahrzeugs, Gesichter, die sich über ihn beugten und sich wieder entfernten, die Autotür, ein Hinuntergleiten, irgendwelche Betondecken, Neonlicht, dann Dunkelheit, weil er die Augen schloss, ein bisschen links und rechts und etwas geradeaus, ab und zu ein Stöhnen, ein Lachen, kurze Gespräche und dann der Duschvorhang und das Bett.

So, diesen Weg wieder zurück? Was fällt der eigentlich ein! Der Unfall, das Warten, die Spritzen, das Nähen, stundenlang kaum etwas gegessen und das Nicht-recht-sehen-Können. Es war ein elender Moment. «Ich bin mit der Ambulanz hergekommen. Ich habe keine Ahnung wie.»

Die Worte waren sachlich und korrekt. Der Ton allerdings – ei, ei! –, der war sehr, sehr giftig. Sonst wäre er wahrscheinlich in Tränen ausgebrochen. Auch ein kleiner Unfall kann einen ganz schön aus der Bahn werfen.

Die junge Frau, vielleicht eine angehende Pflegefachfrau oder Ärztin, hielt inne, begann dann aber ruhig zu erklären, bis sie sich selbst plötzlich unterbrach. «Ach was. Ich zeige es Ihnen.» Womit sie den Rahmen ihres Pflichtenhefts bestimmt gesprengt hatte.

Es tat gut, wieder draussen zu stehen und frische Luft zu atmen. Sogar die Sonne schien. Er wollte der angehenden Pflegefachfrau oder Ärztin Danke sagen und hätte ihr vielleicht sogar eines der süsssauren Dinger angeboten. Aber se war schon wieder weg.

Es gibt Momente echter Verlorenheit. Oft versteckt hinter einem Vorhang aus Wut, hinter vermeintlich unangepasstem Verhalten; unbeachtet vom komplexen System, das ausgerichtet ist auf Wiederherstellungs- und Heilungsprozesse. Es gehört zu unserer Arbeit als Seelsorgende, hier wachsam zu sein und zu wirken. Wie schön, dass wir dabei nicht allein sind. Wir wären heillos überfordert.

Nadja Zereik, kath. Seelsorgerin

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