Erika Burkart im Januar 1999. Foto: Ayse Yavas, Keystone.

«Ein Ohr auf Gott zu…»

Zum 100. Geburtstag der Schriftstellerin Erika Burkart

Am 8. Februar wäre die Schriftstellerin Erika Burkart (1922-2010) 100 Jahre alt geworden. In ihren Werken hat sie grosse Lebensthemen und die Sehnsucht nach einer unerreichbaren Welt sprachmächtig in Worte gefasst.

von Beatrice Eichmann-Leutenegger

Alles begann im Haus auf dem Hügel, am Rand des aargauischen Dorfes Althäusern. Hier lag die Keimzelle für das Wachsen einer genuinen poetessa. Die Äbte des nahen Klosters Muri hatten das markante Gebäude seit 1736 als Erholungsresidenz benutzt. Viel später richtete der Vater der Dichterin, Walter Burkart, im Erdgeschoss eine «Wein- und Speisewirthschaft» ein, wo er polterte, fluchte und seine Gäste mit Abenteuergeschichten unterhielt, die er als Jäger im Gran Chaco bestanden hatte. Im Stockwerk darüber befand sich das Reich der Mutter, die vor der Heirat als Erzieherin in einer irischen Familie gewirkt hatte. Sie fesselte die Aufmerksamkeit der zwei Töchter mit Märchen und Mythen von der Grünen Insel, so dass die Mädchen mit Fluchtiraden und Zaubersprüchen aufwuchsen, zwischen Verdammung und Bezauberung hin und her gerissen.

Freie Schriftstellerin

Erika Burkart unterrichtete nach dem Besuch des Lehrerinnenseminars während zehn Jahren an aargauischen Schulen, worüber sie im Roman «Die Vikarin» (2006) erzählt hat. Danach wagte sie den Schritt in die ungesicherte Existenz als freie Schriftstellerin. Seit den Fünfzigerjahren trat sie mit Gedichten, Erzählungen und Romanen hervor. Ihre Texte kreisen um die Themen, die seit jeher die Literatur genährt haben: Liebe, Tod, Abschied, Einsamkeit, die Natur in ihrer Schönheit und Fragilität. «Die Mitte ist immer ausser uns», wie sie sagt, denn wir sind Verstossene und Vertriebene aus dem Paradies. Dieses bleibt hienieden eine unerreichbare Welt, die wir nur erahnen können. Sehnsucht ist daher dieser Dichtung eingeschrieben. Doch unablässig sucht Erika Burkart nach sichtbaren Zeichen, die das Unsichtbare bergen. «Erde im Licht/ vor unendlicher Nacht,/ Raum ohne Antwort, Sog,/ verzehrt uns Liebe zu Abwesenheiten:/ die grossen Engel sind unsichtbar.» Die Dichterin steht an einer Grenze, aber wie Moses auf dem Berg Nebo kann sie das Land jenseits nicht betreten. «… Nur dem Staunen sichtbar/ das letzte Gesicht,/ stolperst du über die Schwelle/ ins unerschaffene Licht.»

Diese Grenze meint vor allem eine Sprachgrenze, die Linie zwischen dem Sagbaren und Unsagbaren. «Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen», lautet der letzte Satz von Ludwig Wittgensteins «Tractatus logico-philosophicus». Dichterinnen und Dichter jedoch versuchen bis ans äusserste Ende vorzudringen. Doch auch eine sprachmächtige Frau wie Erika Burkart erkennt:«…Ausserworts / die andere Landschaft, / wortlos fällst du geheim/ dem Sog des tiefsten/ Entzückens anheim…». Am Ende allen sprachlichen Bemühens steht die Wortlosigkeit. So ist denn für Erika Burkart «Schweigen ein Ohr auf Gott zu». Das Reden tritt zu Gunsten des Hörens zurück. Wir denken an den Prolog der Regula Benedicti: «Höre, mein Sohn, auf die Weisung des Meisters, neige das Ohr deines Herzens…».

Begnadete Magierin des Wortes

Man hat wohl über ihren betörenden Sätzen vergessen, dass Erika Burkart nicht nur Zauberwelten entwarf, wenn sie etwa vom ersten Schnee sprach und das Winterweiss sogar eine «transzendente Speise» nannte. Doch in der zerbrechlich wirkenden Gestalt der Dichterin steckte eine Rebellin. Wie heftig lehnte sie sich auf gegen die Zerstörung der Schöpfung! Mit heiligem Zorn sprach sie vom Sterben der Bäume, von der Verwüstung ihrer Freiämter Landschaft. Ihr Widerspruchsgeist brach auch im Gedicht «Entgegnung» durch, das sich deutlicher als zuvor mit religiösen Inhalten auseinandersetzt und gegen das Lebensende hin eine Klärung vornimmt: «Ich bin kein geistlicher Beistand./ Wunderbedürftigen kann ich nicht helfen,/ ich will nicht belehren und/ zu gar nichts bekehren…», heisst es in der Eingangsstrophe.

Zuletzt folgt die dezidierte Aussage: «Ein Unding, der gott-lose Mensch,/ jeder hat, was mehr ist als er,/ uneingestanden bezogen/ auf eine begrenzte Absenz». Gott sei «weniger als ein Bild». Wer daher von Gott spricht, muss sich wie ein moderner Bilderstürmer von Bildern befreien, damit das Reden von ihm «jene heilige Unberechenbarkeit» bewahrt, die Kurt Marti einigen Dichtern zugestanden hat.

Zeitlebens wohnte Erika Burkart, verheiratet mit dem Autor und Lektor Ernst Halter, in ihrem Elternhaus. Ihr Mann verwandelte die Wildnis rings ums einstige Äbtehaus in einen zauberhaften Garten, an dem sich die Gäste erfreuten. Später sollte er zu ihrem umsichtigen Nachlassverwalter werden. Für junge Schreibende war Erika Burkart eine mütterliche Beraterin und verständnisvolle Zuhörerin. Als sie 2010 nach längerer Krankheit starb, trauerte die literarische Welt um eine verehrte und begnadete Magierin des Worts.

 

Buchhinweis:
Erika Burkart, Spiegelschrift. Gedichte – die grosse Auswahl, hrsg. und mit einem Nachwort von Ernst Halter. Limmat Verlag: Zürich 2022

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