Der neue Berner Rabbinerforscht in seiner Habilitation über eine «Jüdische Theologie des Christentums». Foto: Pia Neuenschwander

Ein Pionier im katholisch-jüdischen Dialog

Der neue Rabbiner im Portrait

Offiziell tritt Jehoschua Ahrens am 19. Oktober das Amt als neuer Berner Rabbiner an. Im August ist der gebürtige Deutsche nach Bern gezogen. Seit Jahren fördert er den Dialog mit den Kirchen und wurde 2017 vom Papst empfangen.

von Hannah Einhaus

Berns Behörden und Kirchen sind bei der Amtseinsetzung von Rabbiner Jehoschua Ahrens am 19. Oktober in der Synagoge ebenso vertreten wie jüdische Geistliche aus dem In- und Ausland. Amtseinsetzung? Die Stelle des Rabbiners wird vom Kanton finanziert, denn die Jüdische Gemeinde Bern ist öffentlich-rechtlich anerkannt.

Doch zum Zeitpunkt unseres Gesprächs an einem sonnigen Nachmittag Anfang Oktober steckt Jehoschua Ahrens noch mitten im Marathon der Hohen Feiertage und des Laubhüttenfestes. Wir steigen auf die Dachterrasse der Jüdischen Gemeinde – mit Urban Gardening und Alpenblick – und setzen uns in die Sukka, die Laubhütte.

Am 1. August hat Rabbiner Jehoschua Ahrens die Stelle von Michael Kohn übernommen. Seit seinem Zuzug nach Bern habe die Zeit für einen Kaffee mit den katholischen Nachbar:innen der Dreifaltigkeitskirche bisher leider gefehlt, gesteht er, ebenso für den Kontakt mit anderen Religionsgemeinschaften und dem Kanton.

Denn: Kaum in Bern, galt es für ihn, nicht nur «seine» neue Gemeinde kennenzulernen, sondern auch die Hohen Feiertage im September vorzubereiten, das heisst das jüdische Neujahr (Rosch Haschana), den Versöhnungstag (Jom Kippur) und das Laubhüttenfest (Sukkot). Das koscher-ayurvedische Restaurant im Haus der Religionen am Europaplatz habe er freilich getestet.

Seit zwölf Jahren interreligiös unterwegs

Jehoschua Ahrens (44) ist im Raum Frankfurt a.M. in einem traditionellen Umfeld aufgewachsen. Seine Berufsbildungen in Verkauf, Marketing und Management sowie seine Tätigkeiten im Buchhandel und in der Erdölbranche legen die spätere Tätigkeit als Rabbiner nicht unbedingt nahe. Ahrens schmunzelt: «Marketing betreibe ich weiterhin, heute geht es freilich um Gott und ideelle Werte.»

Lange habe er selbst den Mangel an deutschsprachigen Rabbinern im deutschen Sprachraum kritisiert, war immer in jüdischen Gemeinden aktiv und entschied sich daher schliesslich 2007 für eine Rabbinerausbildung. Parallel zur Ausbildung arbeitete er zeitweise in Budapest als Religionslehrer, wo er 2009 Mirjam Alba heiratete. Seit 2010 ist Jehoschua Ahrens Rabbiner und aktiv im interreligiösen Dialog.

«Zum interreligiösen Dialog kam ich ab 2010 in Bulgarien», erzählt Ahrens über die Anfänge seines Engagements. «Als einziger Rabbiner war ich ständig im Kontakt mit den mehrheitlich orthodoxen Kirchen und den Muslimen.» Zwei Jahre später zieht er nach Zürich. Als Assistenzrabbiner beginnt er sich ab 2015 in der Christlich-Jüdischen Arbeitsgemeinschaft (CJA) in Zürich zu engagieren.

Parallel befasst er sich in seiner Dissertation bei Professorin Verena Lenzen am Institut für Jüdisch-Christliche Forschung der Uni Luzern mit dem Gründungsdokument der CJA, den Seelisberger Thesen von 1947. Seine Erkenntnisse: «Katholiken wie Kardinal Charles Journet und der jüdische Intellektuelle Jules Isaac spielten eine Schlüsselrolle für die Entstehung der Thesen. Und die Thesen hatten wiederum einen wesentlichen Einfluss auf das 2. Vatikanische Konzil.» Bis heute leitet Ahrens das Dialoggremium des jüdischen Dachverbandes SIG mit der Bischofskonferenz.

Besondere Rolle im Gespräch mit Rom

Ebenfalls 2015 leistet Ahrens im jüdisch-katholischen Dialog Pionierarbeit: Er gehört zu den Autoren und Erstunterzeichnern einer Erklärung orthodoxer Rabbiner zum Christentum. Fünfzig Jahre nach «Nostra Aetate» anerkennen orthodoxe Rabbiner das Christentum als «Religion, die den Glauben an den Gott Israels in die Welt hinausgetragen hat». «Das in einer Erklärung zu formulieren, war ein absolutes Novum», so Ahrens.

«Angesichts der jahrhundertelangen Ablehnung des Judentums durch die Kirchen war nach der Shoa auch eine reservierte Position auf jüdischer Seite entstanden. Manche Rabbiner zählen die Christen sogar zu den Heiden.» Bis heute haben weit über hundert Rabbiner diese Erklärung unterzeichnet. 2017 wird Jehoschua Ahrens von Papst Franziskus in Rom empfangen und mit einer Medaille ausgezeichnet, auch von Papst Benedikt wurde er schon in einer Privataudienz empfangen.

Von 2017 bis diesen Sommer wirkte Jehoschua Ahrens als Gemeinderabbiner in Darmstadt. Er ist Mitglied der Europäischen Rabbinerkonferenz und fördert weiterhin den jüdisch-christlich-muslimischen Trilog. Auch nach seinem Wechsel nach Bern forscht er in seiner Habilitation weiter über eine «Jüdische Theologie des Christentums». Er wirft dabei einen rabbinischen Blick auf die christliche Religion, der sich von den bisherigen philosophischen Perspektiven unterscheidet. Auch ist von ihm soeben eine lebensnahe Auslegung der biblischen Wochenabschnitte erschienen unter dem Titel «Mit der Tora durch das Jahr.»
 

Jehoschua Ahrens war Redner an einem Gedenkanlass im Haus der Religionen im Zusammenhang mit den Angriffen der Hamas auf Israel. Hier geht's zum Artikel. 

Buchhinweis:
Jehoschua Ahrens: «Mit der Tora durch das Jahr. Eine lebensnahe Auslegung der Parschiot.» Gütersloher Verlagshaus, München 2023.

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