Ukrainisch-katholischer Gottesdienst in der Krypta der Dreifaltigkeitskirche. Foto: Vera Rüttimann

«Ein Stück ihres früheren Lebens»

Ukrainische Gottesdienste in der Dreif

Seit fünf Jahren findet jeden Sonntagmittag in der Dreifaltigkeitskirche in Bern ein ukrainisch griechisch-katholischer Gottesdienst mit Pfarrer Volodymyr Horoshko statt. Wie der Tee-Treff danach, ist er für die Menschen aus der Ukraine gesellschaftlicher Ankerpunkt und Kraftspender.

Von Vera Rüttimann

In der Krypta der Dreifaltigkeitskirche in Bern drängen sich die Menschen in den Bänken. Die Frauen und Männer sind schick herausgeputzt. Ihre Gesichter aber sind nicht fröhlich. Ganz versunken sind einige in den tief-emotionalen Gesängen.


Immer wieder ist das Wort «Gospodin» zu hören. Die Gläubigen blicken auf das ukrainische Kreuz auf dem Altar, das Pfarrer Volodymyr Horoshko in seinen Gottesdiensten verwendet. Und sie blicken auf die grossen, goldglänzenden Ikonen vorne, die Maria mit dem Jesuskind zeigen.

«Ein Kommen und Gehen»

Nach dem Gottesdienst herrscht vor der Kirche ein grosses Palaver. Auch Christian Schaller, Pfarrer der Dreifaltigkeitskirche, ist hier. «Früher waren ein paar wenige Familien in der Messe in der Krypta: Jetzt kommen manchmal hunderte Leute hierher.»

Die meisten schlendern nun zu einem Raum im Pfarreizentrum. Dort gibt es Eistee und Pizza. Nelja Tkachuk gehört zu den freiwilligen Helfenden, die den Treff organisieren. Seit 2003 lebt die Ukrainerin in Bern. Sie hat hier studiert und geheiratet. Sie war dabei, als 2014 der Verein «Ukrainer in Bern» gegründet wurde. Ihr Wissen über die Schweiz ist gefragt.


Bestand vorher der Kern der Gottesdienst-Besucher:innen meist aus in Bern ansässigen ukrainischen Familien, seien heute mehr als die Hälfte der Leute Flüchtlinge aus der Ukraine. Es sei ein Kommen und Gehen. «Die meisten wollen so rasch wie möglich wieder in die Ukraine ziehen. Einige sind schon wieder gegangen», weiss Nelja Tkachuk. Sie selbst hat ein Mädchen aus der Ukraine bei sich aufgenommen. Noch immer staunt sie: «Es ist ganz alleine hierher geflüchtet.»

«Wir helfen uns gegenseitig»

Auch Janina Tschyrwa war an diesem Vormittag in der Messe. «Die Gesänge haben mir gutgetan», sagt sie. Zuhause unterrichtete die 48-Jährige als Lehrerin Kinder. Seit dem 13. April dieses Jahres ist sie in Bern. Sie kam allein. Ihre Eltern sind verstorben, ihr Mann fiel 2018 im Krieg.

Traurig zeigt sie auf ihrem Handy das Facebook-Profil ihres toten Mannes. Es zeigt einen Grabstein. «Zurück in die Ukraine will ich nicht», sagt Janina Tschyrwa. Nun lernt sie jeden Tag deutsch. Sie engagiert sich an der Volkshochschule Bern bei «Tandem Ukrainisch-deutscher Gesprächskreis». Sie sagt: «Wir helfen uns gegenseitig.»


Mitten unter den herumwuselnden Kindern und älteren Frauen steht Pfarrer Volodymyr Horoshko. Der Lemberger ist seit sieben Jahren in der Schweiz. Sein Sohn hat heute in der Messe ministriert. Die goldglänzenden Gewänder stammen aus der Ukraine. Um ihn herum sitzen ukrainisch-griechisch katholische Christen und griechisch-orthodoxe Christen. Für Christian Schaller hat er lobende Worte: «Dank seiner Offenheit können wir hier sein.»

«Den Moment nützen»

Pfarrer Volodymyr Horoshko kennt viele Kinder, die hier am Tisch sitzen. Der Mann mit dem verschmitzten Lachen ist auch für die Kinderkatechese zuständig. «Hier in der Dreif werden jeden Samstag Kinder in vier verschiedenen Klassen unterrichtet», sagt er stolz. Sie lernen die ukrainische Sprache und erfahren wichtige Dinge über die Geschichte der Schweiz. «Sie sollen nicht nur ihre Wurzeln pflegen, sondern auch andere Kultur kennen lernen.» Der Priester fügt hinzu: «Sie müssen diesen Moment nützen, um aufzunehmen. Wenn sie später nach Hause zurückkehren, bringen sie etwas Neues mit.»


«Sie fühlen sich hier wie zu Hause»

Bis zum Nachmittag essen, reden und kochen die Leute im Pfarreizentrum. Pfarrer Volodymyr Horoshko weiss, was dieser Treff den Ukrainerinnen und Ukrainern bedeutet: «Sie können hier nicht nur gratis essen und sich in ihrer Sprache unterhalten. Noch wichtiger ist für sie:  Hier fühlen sie sich wie zu Hause. Hier können sie sich wie in einer Familie begegnen und aussprechen.» Und nicht zuletzt gebe auch der Gottesdienst ihnen die nötige Kraft, ihr Schicksal zu tragen.

Nelja Tkachuk spricht dem Gottesdienst ebenfalls eine grosse Bedeutung zu: «Viele Leute aus der Ukraine sind sehr religiös. Sie gehen normalerweise jeden Sonntag in die Kirche. Dieser Gottesdienst hier bedeutet ihnen Heimat. Er ist wie ein kleines Stück von ihrem Leben in der Ukraine, was ihnen hier geblieben ist.»

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