Präsidium einer Synodalversammlung in Bern: Mit dabei sind u. a. Ivo Fürer, Präsident der Synode (4.v.r.), Ambrogio Marchioni, Apostolischer Nuntius in der Schweiz (3.v.r.) und Amédée Grab, OSB, Delegierter aus Lugano am Rednerpult. Archivfoto von André Kolly

Eine Frage der Glaubwürdigkeit

Soziale Aufgaben der Kirche

In der vorliegenden Erinnerung an die Synode 72 steht das Dokument 8 über die «Sozialen Aufgaben der Kirche in der Schweiz» im Zentrum. Genauer noch: Anhand von ein paar ausgewählten Aspekten soll aufgezeigt werden, wie diese Kirchenversammlung argumentiert und Stellung bezogen hat.

Von Odilo Noti*

Zwar ist in den Texten der Synode gelegentlich von einem bisher nie erlebten Wohlstand und von Vollbeschäftigung die Rede. Sie benennt aber ebenso sehr die Krisenphänomene der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung, die in den Siebzigerjahren sichtbar werden. Stichworte sind etwa die Ölkrise und die damit verbundene Rezession, die fremdenfeindliche Schwarzenbach-Initiative zur Begrenzung ausländischer Arbeitskräfte oder die Auseinandersetzung um das Saisonnierstatut.

So bezieht die Synode in aller Deutlichkeit Position gegen das Saisonnierstatut und tritt mit Nachdruck für die Integration der ausländischen Wohnbevölkerung ein: «Die Kirche hat den Auftrag, überall dort ihre Stimme zu erheben, wo Recht und Gerechtigkeit und die grundlegenden Menschenrechte missachtet werden. Sie unterstützt deshalb alle Bestrebungen, die eine menschliche Lösung des Fremdarbeiterproblems suchen.»

Ergänzend zu diesem sozialpolitischen Statement sind die Entscheidungen und Empfehlungen in Dokument 8 als Aufforderung nach innen, an die Kirche selbst, gerichtet. Diese habe dafür zu sorgen, dass die Fremdarbeiter als vollberechtigte Mitglieder auf allen Ebenen der Seelsorge mitwirken können. Sie sollen entsprechend ihrer Zahl und ihrer sprachlichen Herkunft vertreten sein. So werde am ehesten auch ihrer Vielfalt Rechnung getragen. Die Ortskirchen sollen ihnen einerseits ein eigenes kirchliches Gemeindeleben ermöglichen, anderseits auch den Zugang zu den Ortspfarreien erleichtern.

Das Handeln der Kirche ist auch politisch

Diakonie, Caritas oder soziales Engagement ist nicht sekundär oder nachgeordnet, sondern eine kirchliche Grundfunktion. Davon hängt die «Glaubwürdigkeit jeglichen Redens und Tuns» der Kirche ab: «Hier zeigt es sich, ob sie ihre Sendung lebt und ob sie den Menschen, den sie ansprechen will, ernst nimmt.» Verkündigung und Liturgie würden weltfremd wirken, wenn soziale Bewusstseinsbildung und sozialer Dienst fehlten.

Dieser soziale Dienst darf nicht als unpolitisch verstanden werden: «Es genügt nicht, nur Symptome zu bekämpfen und erst in sozialen Notsituationen helfend einzugreifen. Die Kirche muss auch sozialer Not vorbeugen, ihre Ursachen aufzeigen, mithelfen im Aufbau einer Gesellschaftsordnung der Gerechtigkeit und Nächstenliebe, des Schutzes und der Sicherheit jeder Person. Dies ist nur durch eine entsprechende Gesellschaftspolitik möglich.»

Ein wegweisendes Dokument

Zweifellos besteht das Hauptverdienst des Dokuments über die sozialen Aufgaben der Kirche darin, dass es die Diakonie oder die Caritas als kirchliche Grundfunktion in die Mitte des synodalen Bewusstseins gehoben hat. Darüber hinaus hat die Synode Position bezogen gegen eine spiritualisierende Engführung von Caritas und Nächstenliebe. Sie hat auch Auffassungen abgewehrt, wonach kirchliches soziales Engagement angesichts der Errungenschaften des modernen Sozialstaates überflüssig geworden sei.

Positiv formuliert: Die Synode hat mit ihrem Insistieren auf der Einheit von Gottes- und Nächstenliebe nicht nur eine religiöse Begründung von Caritas und Diakonie geliefert. Sie hat auch ihre sozialethische und politische Verwurzelung deutlich gemacht. Indem sie für die ökumenische Zusammenarbeit eintrat und mit dem Prinzip der Subsidiarität die kirchliche Kooperation mit der öffentlichen Hand partnerschaftlich und zugleich eigenständig verankerte. Eine derartige Leistung eines kirchlichen Dokuments ist beachtlich. Immerhin war es in der Schweiz die erste umfassende soziale Stellungnahme der Kirche nach dem Zweiten Vatikanum.


* Dr. theol. Odilo Noti, 69, war bei Caritas Schweiz tätig und Präsident von Swissfundraising. Er war von 2014 bis 2021 Präsident des Katholischen Medienzentrums in Zürich, aktuell präsidiert er die Stiftung «Weltethos Schweiz» und die Herbert Haag-Stiftung für Freiheit in der Kirche.
 

Diese Website nutzt Cookies. Durch die weitere Nutzung der Site stimmen Sie deren Verwendung zu und akzeptieren unsere Datenschutzrichtlinien.