Das Wichtigste in einer gemischtreligiösen Beziehung sei die Kommunikation untereinander, respektive das Wissen über die Religion des anderen. Foto: Symbolbild, iStock, SDI Productions

Eine Liebe, zwei Religionen

Portrait eines bi-religiösen Paares

In der Schweiz gibt es viele Paare, welche in einer bi-religiösen oder bi-kulturellen Beziehung sind. Wie gestalten solche Paare ihre Beziehung? Wie erziehen sie ihre Kinder? Welche Reaktionen erhalten sie aus ihrem Umfeld? Antworten von einem muslimisch-christlichen Paar aus Biel.

von Jasmin Kneubühl*

An einem heissen Mai-Nachmittag reise ich nach Biel. Eine besondere Aufgabe wartet auch mich: ich darf ein Interview mit einem bi-religiösen Paar führen. Mit einer Vielzahl an Fragen im Gepäck bin ich gespannt auf das Gespräch. Meine Interviewgäste sind Rubija und Noël. Die beiden sind verheiratet und haben einen Sohn aus Rubijas erster Ehe und zusammen eine Tochter und einen Sohn. Wir treffen uns in ihrem Garten für das Gespräch.

Früher Religionswechsel im Jugendalter

Noël ist im Kongo aufgewachsen. Mit seiner Familie besuchte er regelmässig die Messen der katholischen Kirche. Doch er habe den Katholizismus nie wirklich verstanden. «Die Messen waren mehrheitlich auf Lateinisch, auch alle Lieder waren lateinisch. Ich habe darum nicht viel verstanden und es war mir alles fremd.» Dies sei der Zeitpunkt gewesen, als Noël begonnen habe, über Religionen zu reflektieren. Darum konvertierte er später im Kongo zur reformierten Kirche.

Sein Bruder hingegen hat eine Zeit lang in einem Internat gewohnt, dort den Islam für sich entdeckt und konvertiert. So lebte Noël schon von klein auf mit verschiedenen Religionen friedlich unter einem Dach. Er ist vor rund 35 Jahren als Geflüchteter in die Schweiz gekommen. Nebst einem Studium der sozialen Arbeit hat er noch zahlreiche andere Weiterbildungen absolviert. Er hat sich unter anderem auf Genderstudies und interkulturelle Theologie spezialisiert. In Biel arbeitet er hauptsächlich für die Kirchgemeinde Biel und mit Migrationskirchen.

«Man hat einander respektiert und besucht»

Noëls Ehefrau Rubija kommt aus Bosnien und ist ebenfalls in die Schweiz geflüchtet. Hier haben sich die beiden auch kennengelernt. Noël hat damals- vor rund 22 Jahren- in einem Durchgangszentrum gearbeitet und dort hat er Rubija das erste Mal gesehen. Auch die gelernte Maschinentechnikerin kam schon früh in Berührung mit verschiedenen Religionen.

Sie ist als Muslimin aufgewachsen. «Ich hatte nie Probleme mit anderen Religionen. Zum Beispiel waren unsere Nachbarn Orthodoxe, Katholiken oder Juden. Alle haben für sich gebetet, man hat einander respektiert und besucht. An Weihnachten haben wir uns so gefühlt, als ob das auch unser Feiertag ist. Und auch für unsere Nachbarn war es so als ob Bayram (türkische Bezeichnung für religiöse und staatliche Feiertage) ihr Feiertag wäre». Rubija ergänzt, «erst mit dem Ausbruch des Krieges hat sich das alles geändert».

Vorurteile, Unverständnis, Ablehnung

Auf die Frage, wie ihre Familie auf die andere Religionszugehörigkeit der Partnerin beziehungsweise des Partners reagiert hat, meint Noël, dass vor allem die Cousins und Cousinen ihrer eigenen Kinder die Bi-Religiosität am Anfang nicht verstanden und akzeptiert haben. Die Kinder von Rubja und Noël mussten sich bei der jüngeren Verwandtschaft immer wieder erklären.

So mussten sich die Kinder seitens ihrer Cousins und Cousinen anhören, dass es keinen anderen Weg zu Gott gebe ausser über Jesus. Rubija sagt: «Meine Freundinnen haben schon gedacht, dass bei mir zuhause ein riesen Kreuz steht». Doch in ihrem Zuhause findet man keine religiösen Symbole. Rubijas Umfeld äusserte die Befürchtungen, dass sie die Religion wechseln würde. Doch das ist für sie nie zur Debatte gestanden, für sie war immer klar, dass sie Muslimin bleiben wird.

Familie feiert Ramadan und Weihnachten

Auch ihre Kinder erziehen sie bi-religiös. Doch wie sie die Kinder erziehen wollen, wussten sie zu Beginn nicht- dies zeigte sich erst mit der Zeit. So besuchten die Kinder von klein auf die Moschee und später auch die Kirchliche Unterweisung. Die Eltern befürchteten zu Beginn, dass die beiden Religionen bei den Kindern für Verwirrung sorgen könnten. Doch für Rubja und Noël war in erster Linie wichtig, dass ihre Kinder über die Familienreligionen, den Islam und das Christentum, Bescheid wissen. «Nachher können sie glauben, was sie wollen» fügt Noël hinzu.

Die Kinder werden in den religiösen Alltag miteinbezogen, alles aber auf freiwilliger Basis. So fasten sie alle zusammen als Familie während des Ramadans. Und an Weihnachten haben sie als Familie zusammen früher den Tannenbaum bestaunt. Heute wären die Kinder aber zu erwachsen, um sich noch für den Tannenbaum zu begeistern, fügt Noël hinzu. Für Rubija ist es wichtig, dass ihre Kinder über andere Kulturen und Religionen informiert sind.

Was die bi-religiöse Erziehung auch sehr unterstützt habe, sei der Evangelische-Theologiekurs, der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn, den Noël und Rubija beide besucht haben und welcher während des eineinhalbstündigen Interviews mehrmals Erwähnung findet. «Im Rahmen dieses Kurses haben wir mit den Kindern sehr viel diskutiert und sie fanden es sehr spannend. Dieser Kurs war für uns Teil des Lernens», sagt Noël.

Eine besondere Frage will ich unbedingt noch stellen: Wie war ihre Hochzeit? Haben sie in einer Moschee oder einer Kirche geheiratet? Beide brechen in schallendes Gelächter aus und schauen sich verschmitzt an. Weder noch. Eine Hochzeit habe es nur standesamtlich gegeben, ohne Ringe und ohne grosse Zeremonie. Und das schlicht und einfach, weil Noël zu dieser Zeit aufgrund seiner Arbeit sehr beschäftigt war und einen wichtigen Kurs leiten musste. Und wieder einmal überraschen mich die zwei mit ihrer Lockerheit und ihrer Fähigkeit, Anekdoten zu erzählen, denen man gerne zuhört und die einen zum Schmunzeln bringen.

Wissen und Kommunikation sind zentral

Auf die Frage, welche Ratschläge sie anderen bi-religiösen Paaren geben können, sind sich Rubija und Noël einig. Das Wichtigste wäre die Kommunikation untereinander, respektive das Wissen über die Religion des anderen. «Wir haben nicht nach einem Rezept gelebt. Ich sehe Rubija nicht als Vertreterin des Islams. Sie vertritt sich selbst. Rubija ist Rubija. Mit all ihren Fähigkeiten und Schwächen und ihrer Religion».

Während des Gesprächs merke ich, wie herzlich die Beziehung zwischen Rubija und Noël ist. Zusammen lachen sie über vergangene Erlebnisse, ergänzen gegenseitig ihre Sätze. Genau deshalb funktioniert ihre Beziehung so gut, weil sie aus ihrer- doch etwas speziellen Situation- keine grosse Sache machen. Ganz nach dem Motto «Leben und leben lassen». «Wichtig ist der Mensch, Religion ist Nebensache», fügt Rubija als, wie ich finde, treffendes Schlusswort hinzu.

Erstpublikation: Ensemble, Nr. 68/2022, Magazin der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn
 

*Jasmin Kneubühl ist Mitarbeiterin der Fachstelle Migration bei den reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn.

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