Ab Mitte Januar zeigt die Heiliggeistkirche Bern einen Monat lang beeindruckende Kunstwerke von Matthias Fischer. Sie zeugen von Missbrauch in der Kirche, Schmerz und einem Trauma, das tief im Künstler sitzt.
von Erik Brühlmann
Auch wenn die Zahlen erschütternd sind: Die allermeisten Menschen kennen Missbräuche katholischer Geistlicher nur aus den Meldungen in den nationalen und internationalen Medien. Matthias Fischer ist diese Distanz nicht vergönnt. 1959 wurde er als fünftes Kind der Familie im norddeutschen Braunschweig geboren. Seine katholischen Eltern waren wie so viele Deutsche nach dem Krieg aus Schlesien im heutigen Polen dorthin geflohen. Ein für die Flüchtlinge zuständiger Priester nutzte die Situation aus; Matthias Fischer war in der Folge massiver sexualisierter Gewalt durch katholische Geistliche ausgesetzt. Ein Trauma, das ihn bis heute nicht loslässt.
Der lange Weg an die Oberfläche
1982 trat Matthias Fischer aus der katholischen Kirche aus und begann ein Studium der Evangelischen Theologie. Dieser auf den ersten Blick ungewöhnliche Schritt war ein Ausdruck dessen, dass er den Glauben an die theologischen Glaubensinhalte trotz aller Erlebnisse nicht verloren hatte.
Während des Zivildiensts in einer evangelischen Kirchgemeinde in Deutschland machte ihn sein evangelischer Mentor auf Dietrich Bonhoeffer, Paul Tillich und andere namhafte Theologen aufmerksam. «Da merkte ich: Es gibt mehr als nur den Volkskatholizismus, den Familienkatholizismus und die Bigotterie der katholischen Kirche, die ich als Kind und Jugendlicher kennengelernt hatte», sagt der Theologe.
Erschreckend sei für ihn jedoch die spätere Erkenntnis gewesen, dass ihn die katholische DNA noch viele Jahre begleitete, selbst nachdem er 1986 in die Schweiz gezogen war und in den Kantonen Aargau und Zürich als Gemeindepfarrer wirkte. «Aber es dauerte dann noch einmal 20 Jahre, bis ich das Thema wirklich aufzuarbeiten begann», sagt er. Und mit der Aufarbeitung wurde sein persönliches Unbehagen gegenüber der katholischen Kirche immer unerträglicher.
Das Thema braucht Raum!
Mit seiner Ausstellung in der Heiliggeistkirche ab Mitte Januar möchte Matthias Fischer die Auseinandersetzung mit diesem Thema fördern und befruchten. Gezeigt werden unter dem Titel «Ich lasse dich nicht …» Gemälde und Videokunst; das Rahmenprogramm umfasst neben der Vernissage und der Finissage einen Leseabend und eine Podiumsdiskussion.
Der Titel ist angelehnt an das Zitat «Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn» (1. Mose 32,27). «Ich bin ebenfalls nicht gewillt, das Thema loszulassen, und ich gebe mir die Erlaubnis, es radikalkritisch zu diskutieren und zu zeigen», sagt der Theologe, der die Kunst als Sprachrohr dafür erst spät für sich entdeckte.
«Meine Kinder hatten mir zum 60. Geburtstag eine Staffelei geschenkt», erinnert er sich, «und dann merkte ich: Da entsteht viel Kreativität und vielschichtiger Ausdruck – ein kreativer Zugang zu dem, was in mir verletzt und verborgen ist.»
Für den Künstler, der das Erlebte viele Jahre unter dem Deckel gehalten hatte, ist dies ein anstrengender und schmerzhafter, aber auch ein notwendiger Prozess. «Ich spüre durch die Kunst eine Lebendigkeit, welche die Leere, die in mir herrschte, kraftvoll aufbricht.» Dennoch würde sich Matthias Fischer wünschen, dass man öffentlich offensiver mit der Missbrauchsthematik in der katholischen Kirche umgehen würde.
«Es wird in den nächsten Jahren noch vieles ans Licht kommen», ist der Theologe überzeugt, «aber ich denke nicht, dass die katholische Kirche in dieser Hinsicht reformierbar ist.» Das Thema, ist er überzeugt, bräuchte in beiden Landeskirchen ganz viel Raum. Doch diesen Raum erhält es viel zu wenig. «Und darüber», so Matthias Fischer, «bin ich ein wenig enttäuscht.»
«Ich lasse dich nicht …»
Ausstellung und Rahmenprogramm mit Werken von Matthias Fischer zur Erfahrung von sexuellem und spirituellem Missbrauch in der Kirche. 18. Januar bis 11. Februar, offene kirche bern – in der Heiliggeistkirche, Spitalgasse 44, 3011 Bern.
Infos: www.offene-kirche.ch