New York, 2012: Der italienische Autor Fabio Geda.
Foto: wikimedia.org

Eine unerwartete Wende

Ein Sonntag mit Elena - Buchbesprechung

Schon wieder ein einsamer Sonntag? Diesmal nicht! In Fabio Gedas Roman geht eine Begegnung mit fremden Menschen über diesen einen Moment hinaus und verändert etwas im Leben der Protagonist:innen.

Von Beatrice Eichmann-Leutenegger

Rasch schweift der Blick über die Bücherrücken, doch enttäuscht schliesst man den Kasten mit der verlockenden Aufschrift «Nimm eins, gib eins». Er steht, etwas verborgen, in der Elfenau und übt auf manche eine magische Anziehungskraft aus. «Lesemittel sind Lebensmittel», gestand eine Frau während der Pandemie. Auf ihrem Tisch stehe immer ein Stapel von Büchern. So fühle sie sich gewappnet für Regentage und Anfälle von Einsamkeit.

Ein erneuter Besuch des Bücherkastens, wenige Tage danach, lässt das Herz hüpfen. Schon der Titel «Ein Sonntag mit Elena», den der Roman des Italieners Fabio Geda (*1972) trägt, klingt verheissungsvoll, dazu die ansprechende Buchgestaltung aus dem Verlagshaus Hanser. Was kann da noch schiefgehen? Das Buch wandert flugs in die Tasche, und die Besucherin eilt beschwingt nach Hause. Sie merkt bald, dass der erste Eindruck sie nicht betrogen hat.

Dabei setzt der Text mit einer verflixten Situation ein. Der 67-jährige Mann, seit acht Monaten verwitwet und am Lungo Po Antonelli in Turin lebend, hat ein üppiges Essen gekocht. Er ist darin zwar ungeübt und studiert das handgeschriebene Kochbuch seiner Frau, die einen tödlichen Autounfall erlitten hat. Aber er will der ältesten Tochter Sonia, die er an diesem Herbstsonntag mit Ehemann und den beiden Töchtern erwartet, die Lieblingsspeisen der Familie vorsetzen.

Doch da klingelt kurz vor Mittag das Telefon: Enkelin Rachele ist von einem Baum heruntergefallen und liegt in der Notaufnahme eines Spitals in Biella. Was tun, um der jähen Leere zu entrinnen? «Er verzehrte sich geradezu danach, sich in einer verwandten Seele zu spiegeln, aber da war niemand, und trotz dieser Berge von Essen hatte er keinen Hunger. Er fühlte sich wie ausgetrocknet.» So verlässt der Mann die Wohnung und schlendert dem Po entlang Richtung Skatepark an der Motorradrennbahn.

Hier beobachtet er einen Jungen, der sich mit eleganten Sprüngen und Wendungen auf seinem Skateboard vergnügt, bis er kopfüber die Rampe hinunterstürzt. Sofort eilt eine Frau herbei, die Mutter des 13-jährigen Gaston, und auch der Mann tritt hinzu. Aus dem Gespräch, das zögerlich einsetzt, erfährt er, dass die Frau ihren Job verloren hat, weil ihre Arbeitgeberin, eine Kosmetikfirma, in Konkurs ging, dass sie seither in eingeschränkten materiellen Verhältnissen lebt und eigentlich einen neuen Beruf erlernen möchte. Aber dafür sei es jetzt wohl zu spät, meint die 37-Jährige.

Der Mann, ein ehemaliger Brückeningenieur, der Bauten in Venezuela, Libyen, Angola, Paraguay konstruiert hat, schlägt jetzt Brücken im übertragenen Sinn. Er fordert Elena auf, einen Neubeginn zu wagen, was sie erst skeptisch ablehnt. Und noch konkreter: Er lädt Elena und ihren Sohn Gaston ein, bei ihm zu Mittag zu essen. Elena gibt zu bedenken, man könne doch nicht einfach der Aufforderung eines Fremden folgen. Der Mann akzeptiert ihre Vorbehalte.

Doch kurz danach besinnt sich Elena anders und folgt dem Mann mit ihrem Sohn in dessen Wohnung. «Das Essen füllte die Stille und linderte die Befangenheit der unverhofften Gesellschaft.» Nach und nach vollzieht sich sachte ein Wunder respektvoller Mitmenschlichkeit. Elena erzählt von ihrem Mann, einem Artisten, der an einem Aneurysma verstorben ist. Der Mann berichtet von seinen drei Kindern, die fern von ihm wohnen: Sonia auf dem Land bei Biella, Sohn Alessandro in Helsinki und die Theaterfrau Giulia in Rom, die aber den Kontakt mit ihm abgebrochen hat. Und Marcella tot. So habe er sich seinen letzten Lebensabschnitt nicht vorgestellt.

Irgendwann legt sich Elena für eine Siesta aufs Sofa, während der Mann mit Gaston sein Bastelzimmer aufsucht und dem Jungen seine Brückenmodelle zeigt. Beide bauen danach einen Miniaturpark für Fingerboards, jene Mini-Skateboards, die Gaston so geschickt mit seinen Fingern zu steuern weiss. Als Elena später leise hinzutritt, bewegt sie das Bild des wortlosen Zusammenspiels, dieser zärtlichen Wärme.

Der weitere Verlauf sei nicht verraten, doch ein billiges Happy End verbietet sich dieser stilsichere Turiner Autor. Viele Jahre hat er mit Jugendlichen gearbeitet. Er kennt ihr Verhalten, schreibt aber mit seinem Roman aus der Perspektive Giulias auch ein vielschichtiges Familienbuch, in dem die Beziehungen zwischen Mann und Frau, Kindern und Eltern aufscheinen. Da funkelt die Erkenntnis auf, dass Söhne und Töchter zwar die Eltern zu kennen glauben, aber dass auch diese ein Lebensgeheimnis hüten.
 

Fabio Geda: Ein Sonntag mit Elena. Roman (ital. Original 2019), deutsche Taschenbuchausgabe 2021, Hanser, München.

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