Die Fussball-WM in Katar wirft grundsätzliche ethische Fragen auf, weil offenbar Menschenrechte verletzt wurden. Foto: iStock/Jozef Durok

Eine WM zum Vergessen

Darf man die Fussball-WM in Katar anschauen oder soll man sie boykottieren?

In knapp zwei Wochen ist Anstoss für die Fussball-Weltmeisterschaft in Katar. Gespielt wird auf Rasen, den Gastarbeiter:innen zu Hungerlöhnen angebaut haben. Am Ethik-Impuls an der Universität Luzern war Lisa Salza zu Gast. Sie vertritt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in der NGO-Koalition «Sports and Rights Alliance».

Von Vera Rüttimann

In elf Tagen ist Anstoss. Niemand kann diese WM jetzt noch abblasen. Auch die Äusserungen des katarischen WM-Botschafters Khalid Salman, «Schwulsein ist ein geistiger Schaden», sind in der Welt. Lisa Salza sagt in den vollen Raum: «Zu oft gab es Sportswashing. Menschenrechtsverletzungen wurden unter dem Deckmantel des Sports einfach unter den Teppich gewischt.» Das funktioniere jetzt nicht mehr.

Im Schlaf gestorben

Lisa Salza berichtet kenntnisreich über die menschunwürdigen Umstände auf Katars Baustellen. Bei der Errichtung der Stadien und der Infrastruktur sei es zu massivem Lohndiebstal gekommen. «Die Löhne wurden nicht oder spät ausbezahlt», berichtet sie. Amnesty International habe unglaubliche Fälle von Misshandlungen dokumentiert: «Wir wissen von Menschen, die über Jahre keinen freien Tag erhalten haben. Manche müssen 13 Stunden bei Temperaturen über 40 Grad an der sengenden Sonne arbeiten. Viele sterben im Schlaf an Herzkreislaufkrankheiten.» Nur wenige Fälle seien dem Weltfussballverband (Fifa) überhaupt bekannt.
 

Entschädigung für Unrecht

Amnesty International wirft seit Jahren ein Auge auf die Menschrechtssituation in Katar. Dabei, so Lisa Salza, stütze sich die Organisation unter anderem auf die UNO-Richtlinien für Wirtschaft und Menschenrechte. Sie besagen, welche Pflichten welche Akteure haben.

Alle Akteure, dazu zähle auch die Fifa, müssten Entschädigungen zahlen, wenn es zu Menschrechtsverletzungen komme: «Grosse Sponsoren wie McDonalds, Adidas oder Budwiser haben sich diesen Entschädigungsforderungen bereits angeschlossen», weiss Lisa Salza. Amnesty International sei es wichtig, so die Referentin, dass diese Leistungen auch Arbeiter:innen abseits der grossen Stadien zukomme. «In Katar herrscht ein Gewerkschaftsverbot. Die Leute können dort für ihre Rechte nicht selber einstehen.»

Der Druck wirkt

Lisa Salza zeigt auf, welche Auswirkungen der Druck von Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften in den letzten Jahren bewirkt hat: Die «Internationale Arbeitsorganisation» habe eine Klage gegen Katar eingereicht wegen Zwangsarbeit. 2015 haben laut Salza auch grosse Sponsoren begonnen, gegen die Fifa Druck zu machen. Die Fifa selbst habe schliesslich reagiert und 2017 ein Menschenrechtsregelwerk aufgesetzt. «Darin sagen sie, dass sie bestrebt seien, die Menschenrechte zu schützen und dass sie ihren Einfluss geltend machen wollen. An diesem Versprechen messen wir die Fifa.»

Auch Katar habe reagiert und die wichtigsten Menschenrechtspakte unterzeichnet. So sei unter anderem ein Mindestlohn eingeführt worden. Letztes Jahr, so Lisa Salza, seien auch die Fussballverbände selbst aktiv geworden, indem sie eine Arbeitsgruppe gegründe hätten.
 

Keine Lust auf diese Spiele

Zwei Wochen vor der Fussball-WM hat Fifa-Präsident Gianni Infantino gesagt: «Konzentrieren wir uns doch endlich auf den Fussball!» Diese Aussage sei ein klarer Maulkorb, sagt Lisa Salza. «Das lassen wir nicht mit uns machen», betont sie. Und das gelte für viele andere auch. «Endlich wird das Thema Menschenrechtsverletzungen im Kontext eines solch grossen Events, an dem die Fifa Milliarden verdient, in den Fokus gerückt.»

Immer mehr Restaurants sprechen sich für einen TV-Boykott aus. Amnesty sehe dies differenziert. Die NGO rufe nicht zum Boykott auf, «weil wir den Menschen verschiedene Handlungsoptionen an die Hand geben möchten.» Jede Art von Zeichensetzung könne jedoch wichtig sein. Lisa Salza betont: «Schon nur die Boykottandrohung zeigt, dass die Menschen ein Problembewusstsein haben. Sie haben keine Lust, Spiele zu schauen, wenn dafür Menschen gelitten haben.»

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