Journalist Michael Meier kritisiert Papst Franziskus scharf. Dieser sei ein guter Seelsorger aber kein Papst, schon gar kein Reformpapst. Foto: Papst Franziskus auf dem Petersplatz im Vatikan, 10. April 2024. Imago, Stefano Costantino

Eisbrecher und Zauderer

Das neue Papstbuch des Journalisten Michael Meier

«Der Papst der Enttäuschungen. Warum Franziskus kein Reformer ist». So heisst das neue Buch des Journalisten Michael Meier. In der Paulus-Akademie in Zürich wurde Vernissage gefeiert. Auf dem Podium stellten Michael Meier und derVatikanist Marco Politi ihre Thesen einander gegenüber.

Von Vera Rüttimann

Franziskus, ein Papst der Enttäuschung? Der grosse Saal ist voll, als Michael Meier und Marco Politi das Podium betreten. Michael Meier zählt den italienischen Buchautor Politi zu den renommiertesten Vatikan-Kennern überhaupt. Dennoch wage er es, ihm zu widersprechen. Sein Narrativ vom Reformpapst Franziskus, der von der Kurie in seinen Reformen ausgebremst werde, das hinterfrage er grundsätzlich. Der langjährige Tagesanzeiger-Journalist Meier hält in etlichen Punkten, die er auch ausführlich in seinem Buch thematisiert, dagegen.

Kein Reformer, ein Seelsorger

Wortstark legt Michael Meier seine Thesen vor: Er sieht Franziskus nicht als einen Reformer, sondern als einen Seelsorger: «Nicht Lehre und Struktur der Kirche will er verändern, sondern den pastoralen Zugang zu den Menschen. Barmherzigkeit ist das Schlüsselwort seines Pontifikats, nicht Reform.» Nach der doktrinären Strenge seines Vorgängers Benedikt XVI. habe Franziskus das Klima wohltuend entspannt. Allerdings, so schiebt er nach, «zugleich viele falsche Erwartungen geweckt.»

Kein Reformer, ein Seelsorger

Zur Frauenfrage: Einerseits hieve der Papst Frauen in höhere Kurienämter. Meist seien dies fast jedoch immer Ordensfrauen, und fast immer nur in administrative Aufgaben. Zudem seien sie meist einem Kleriker unterstellt. «Wenn er in Fratelli tutti sagt, es sei inakzeptabel, dass eine Person weniger Rechte habe, weil sie eine Frau sei, gilt das nur für die Zivilgesellschaft und nicht für seine Kirche.» Frauen haben für Franzsikus nur Zugang zu Diensten, die nicht die heiligen Weihen erfordern.

Thema Homosexualität: Im Juli 2013 habe Franziskus einen unvergesslichen Satz ausgesprochen: «Wenn jemand gay ist, den Herrn sucht und guten Willen hat, wer bin ich, über ihn zu urteilen?» Mit dieser Äusserung, so Meier, «weckte er die allergrössten Hoffnungen auf eine kopernikanische Wende in der Sexualmoral.» Es kam anders: Drei Jahre später habe sich Franzskus in seinem Lehrschreiben «Amoris Laetitia» (Freude der Liebe) gegen die Homoehe ausgesprochen.

Halbherzig und ambivalent

Beispiel sexueller Missbrauch: Hier vermissst Michael Meier bei Franziskus besonders eine konsequente Haltung. Für den Argentinier sei dies «das Böse in Gestalt des Teufels». Das den Buchautor besonders. Gerade angesichts der massiv aufbrechenden Missbrauchsskandale, so Michael Meier, «wäre das Gebot der Stunde, deren systemische Ursachen anzugehen.» Missbrauchsbischöfe oder solche, die vertuscht haben, sanktioniere er nur selten, manche schütze er gar vor Strafverfolgung. «Sein Umgang mit Missbrauch bleibt halbherzig, ambivalent», schlussfolgert er.

Besonders scharf kritisiert Michael Meier zum Schluss das Agieren des Papstes im Ukraine-Krieg: «Seine sogenannte Friedensmission im Ukraine-Krieg ist von ein paar humanitären Aktionen abgesehen gescheitert.» Von Beginn habe ihn die Haltung des Nicht-Europäers zum Krieg irritiert. «Zwar hat er den Krieg stets verurteilt und für Frieden gebetet», so der Autor entgeistert, «sich aber nie für das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine ausgesprochen.»

Kein Monarch, ein Mensch

Aufritt Marco Politi: Seit den 1970er Jahren Berichterstatter über die Angelegenheiten des Vatikans. Autor mehrerer Papstbücher wie «Franziskus unter Wölfen» oder «Im Auge des Sturms». Er stellt sich hinter Atheist:innen und Agnostiker:innen, die wie er Papst Franziskus ganz anders sehen: «Er hat in diesen Jahren betont, dass der Mensch wichtiger ist als Strukturen und dogmatische Formen». Für ihn sind Christ:innen diejenigen, die sich um die Leiden der anderen kümmern.

Marco Politi plädiert dafür, das Pontifikat von Franziskus ganz anders zu sehen: «Wenn wir es verstehen wollen, müssen wir die alte Vorstellung von Kirche beiseitelegen.» Das Bild vom Papst als allmächtigem Monarchen sei passé: «Die katholische Kirche ist heute ein vielschichtiges Gebilde. Die Kurie hat viel an Einfluss verloren. Viel wichtiger ist heute, was die Bischofskonferenzen tun.»

Auch die sozialen Medien hätten zur Demokratisierung beigetragen: «Dadurch haben sich im kirchlichen Milieu Gruppen gebildet, die sich vorher nicht gefunden haben.»

Eisbrecher und Breschenschlager

Anders als Michael Müller sieht der italienische Vatikanist und Buchautor Papst Franziskus als einen «Eisbrecher» und «Breschenschlager». Er sei ganz bestimmt mehr ein Prophet als ein Gesetzgeber. Er sei unbequem, weil er oft einen Zickzack-Kurs verfolge und nicht ganz so weit gehe, wie es Reformer erhoffen.

Marco Politi führt einige Punkte auf, wo sich der Papst als Aufräumer zeige. Beispiel Vatikanbank: «Es ist nicht mehr möglich, dass Korruptionsgelder durch die Vatikanbank fliessen. Als es Missmanagement gab, hat Franziskus dem betreffenden Kardinal den Prozess gemacht.» Das habe es so unter einem Papst noch nie gegeben. «Das ist nur ein Beispiel, wo der Vatikan mehr Transparenz zeigt», sagt Politi. Ein weiteres Beispiel: «Franziskus begann sein Pontifikat mit einem Prozess gegen einen Nuntius, der sexuellen Missbrauch begangen hat. Er wurde aus dem Klerikerstand ausgestossen. Ratzinger hat viele solche Leute einfach auf andere Posten abgeschoben.»

Zur Stellung der Frau in der Kirche: Hier erwähnt Marco Politi die Französin Nathalie Becquart, die er 2021 als erste Frau mit Stimmrecht in die Weltsynode holte.

Düsterer Zukunft

Wie sieht Michael Meier die Zukunft der Kirche? Der Journalist malt ein düsteres Bild: Die Päpste aus dem Süden würden auf Dauer keine Reformer nach westlichen Vorstellungen sein. Zudem sei die Volkskirche durch Säkularisierung, Überalterung des Klerus und massiven Mitgliederschwund längst in Auflösung begriffen. Michael Meier resümiert: «Der Missbrauchs- und Vertuschungsskandal hat die Kirche insgesamt als Parallelgesellschaft mit eigener Rechtspraxis und in ihrer tiefen Kluft zur westlichen Gesellschaft sichtbar gemacht.»

Das Buch:
Michael Meier: «Der Papst der Enttäuschungen. Warum Franziskus kein Reformer ist.» Herder-Verlag 2024, 202 Seiten.
Erhältlich in der Buchhandlung voirol für 27.90 Franken

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