Helmut Finkel, Spitalseelsorger in Interlaken. Foto: Ruben Sprich

Energetisch aufgeladen

Mit Helmut Finkel im Grimselgebiet unterwegs

Der Innertkirchner Spitalseelsorger Helmut Finkel ist gern im Grimselgebiet unterwegs. Hier kann der erprobte Motorradfahrer abschalten. Er weiss, wie man zur Ruhe kommen kann.

von Andreas Krummenacher, Fotos: Ruben Sprich

Die Berglandschaft präsentierte sich nach dem Regen frisch gewaschen und geklärt. Jede Kontur der Felsen, jeder Farbton ist erkennbar und intensiv. Helmut Finkel wartet mit seiner BMW GS in Innertkirchen. Wir haben auf dem Parkplatz nach dem Kreisel Richtung Grimsel Passhöhe abgemacht.

Der Spitalseelsorger im Spital Interlaken kommt ursprünglich aus dem Allgäu. Die Berge sind ihm nicht fremd. An ihnen kann er sich orientieren. Helmut Finkel ist ausserdem Haus- und Heimseelsorger in der Pfarrei Interlaken, er ist Einsatzleiter in der Feuerwehr Innertkirchen und war einige Jahre Mitglied im Care Team des Kantons Bern.

Wir fahren los und schon bald erreichen wir den ersten Stausee auf dem Räterichsboden. Von der Spitze der Staumauer aus bietet sich ein atemberaubender Anblick: Die Berge berühren den Himmel, Wolkenschleier eines vergangenen Gewitters umhüllen die Gipfel. Sie scheinen das kostbare Nass einzusammeln. Es strömt über Felsen und sprudelt in wilden Bächen in den Stausee.


Helmut Finkel erzählt, dass er am Morgen früh oder dann gegen Abend hier hochkomme. Über die Staumauer geht es hinten an den Berg. Da sei es absolut ruhig. Er sitze manchmal da und denke über den Tag nach. Bloss eine Viertelstunde. Nichts tun, einfach sein. Es ist das ewige Werden und Vergehen, der Kreislauf des Lebens selbst. Trotz Wind und Wetter strahlt die Gegend eine Aura der Ruhe und Gelassenheit aus.

In der Feuerwehr gehe es hier an den Pässen meist um die Verkehrssicherung, technische Hilfeleistungen oder die Personenbergung. Das seien oft unschöne Bilder. Wieso er sich das ausgerechnet als Spitalseelsorger antue? Er kann es nicht genau beantworten. Er mache das seit Jahrzehnten. Wichtig sei, dass man diese Geschichten weiterziehen lasse.

Helmut Finkel kennt in der Gegend jede Kurve, jeden Tunnel. Wenn er hochfahre, dann kämen ihm die Schicksale wieder in den Sinn. Er denke dann an diese Menschen und verarbeite so das Erlebte. Er gehe vielleicht sogar an diese Orte, überdenke, was passiert sei, ob er alles richtig gemacht habe.


Er erlebe im Spital auch Positives, es gebe freudige, schöne Momente. Jemand sei von einer Krankheit genesen, eine Operation sei geglückt, ein Kind werde geboren. Vielleicht ziehe es ihn immer wieder zu den Menschen hin, zu den grossen Fragen oder zum grossen Zusammenhang des Lebendigen.

Die Menschen seien meist froh, wenn der Spitalseelsorger komme, in schwierigen Situationen helfe oder einfach nur zuhöre. Auch in der Feuerwehr sei das so. Durch die Themen würden immer nahe Bindungen zu den Menschen entstehen, intensive Kontakte.

Wir fahren hoch zum Grimsel Hospiz. Der Weg führt über eine weitere Staumauer dem Grimselsee entlang. Die dritte Staumauer, die wir sehen, ist die grosse Talsperre der Staumauer Spitallamm. Sie ist für die Stromproduktion der Kraftwerke Oberhasli essenziell, wie es auf der Homepage heisst. Die Staumauer ist bereits 90 Jahre alt. Sie wird nicht saniert, es wird vielmehr eine komplett neue Mauer unmittelbar davor gebaut. Die Dimensionen sind gigantisch. Nachdem sich das Auge etwas daran gewöhnt hat, erkennen wir in der Tiefe plötzlich viele kleine Menschlein, die an der Mauer arbeiten.

Wir sehen Reste von Gletschern, Helmut Finkel weist auf weitere Staumauern und Stauseen hin. Etwa den Oberaarsee oder den Gelmersee. Etwas weiter hinten, in den beiden Aargletschern, entspringt die Aare. Dieses Wasser wird irgendwann im Marzili in Bern ankommen. «Alles ist miteinander verbunden», sagt Helmut Finkel, «im Leben und Tod genauso wie hier am Berg.»

Die Kraftwerke sind im Berg. Unterirdisch befinde sich ein weitverzweigtes Tunnel- und Bunkersystem. Für Einsätze mit der Feuerwehr für das Hotel oder das Kraftwerk würden sie, gerade im Winter, alles unterirdisch fahren. Bei Handeck gehe es ins Loch.

Das Wasser ist allgegenwärtig. Das Kraftwerk produziert daraus Energie. Das Wasser als Ursprung des Lebens. Für ihn als Mensch sei das also ein Ort voller Energie.

Wir laufen ein paar Schritte hoch zum Hospiz. Hinter dem Hospiz befindet sich die Kapelle St. Niklaus. Sie ist denkmalgeschützt. Der heutige Bau entstand 1928 im Zusammenhang mit dem Bau der Staumauer. Viele Arbeiter kamen aus Italien. Es ist eine winzige Kirche, vorne sogar mit einer kleinen Chornische und einem Altar. Es ist ein Holzbau, mit Schindeln komplett verkleidet. Die Eingangstür ist reich verziert. Schon fast ein Portal. Es gibt ein Türmchen und eine Glocke. Es ist die höchstgelegene Kapelle von Katholisch Bern.


«Hier bin ich sehr gerne. Es ist ein Rückzugsort. Ich habe das Gefühl, dass ich dem Himmel sehr nahe bin», sagt Helmut Finkel. Nichts sagen, allein sein, in die Stille hören. Das sei ihm sehr wichtig. «Ich sitze dann hier, hänge den Gedanken nach, vielleicht formuliere ich ein Gebet oder ich singe ein Lied.» «Wenn wirklich niemand zuhört», ergänzt er lachend.

Wie man zur Ruhe kommen könne, will ich von Helmut Finkel wissen. Man solle mit kleinen Schritten beginnen, erklärt er. Vielleicht nur ein paar Minuten pro Tag still werden, einen Gedanken fassen und für sich weiterdenken. Ein Buch nehmen und bloss eine Seite lesen. Man könne auch ein Bild betrachten. Er arbeite im Spital gern mit Bildern des Malers ­Sieger Köder. Ferner könnten kleine Atemübungen helfen. Man spüre dann den Körper und könne so langsam ruhig werden. Das gelinge gleichermassen rein gedanklich, beispielsweise im Sitzen, etwa mit Qigong, eine Übung denken – so könne man Dinge, die einen umtreiben, vergessen.

Als Spitalseelsorger sei er oft einfach nur da. Er verlange nichts von den Menschen, halte vielleicht bloss die Hand. Manchmal gebe es Fragen über das Leben, den Tod und das Danach oder die Menschen würden aus ihrem Leben erzählen. Dann sei das Wichtigste zuzuhören.

Wir verlassen die Kapelle und stehen auf dem Vorplatz. Der Wind nimmt zu, die Wolken werden dunkler. Von der Passhöhe wälzt sich der Nebel hinunter Richtung Hospiz. Es ist eine faszinierende Atmosphäre. Alles leuchtet in eigentümlich intensiven Farben. Dem Himmel so nah …

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