Dringend benötigt: Winterkleidung! Migranten im Flüchtlingslager Vucjak ausserhalb von Bihac, Bosnien-Herzegowina. Foto: Keystone, Jean-Christophe Bott

Es braucht humanitäre Korridore

Dringend gesucht: Warme Kleider

Gesucht sind warme Kleider, Jacken, Schlafsäcke. Tausende Flüchtlinge befinden sich derzeit auf der sogenannten Balkanroute auf dem Weg nach Westeuropa. Der neue Brennpunkt ist Bosnien. Die Bedingungen sind wegen der Kälte extrem. Die italienischsprachige Mission im Kanton Bern sammelt darum zusammen mit der Organisation «Open Eyes» für diese Menschen Kleider. Wir haben mit dem Leiter der Missione Cattolica di lingua italiana di Berna, P. Antonio Grasso, gesprochen und ihn nach den Hintergründen gefragt.

Interview: Andreas Krummenacher

«pfarrblatt»: Warum macht die Missione Cattolica diese Aktion?

P. Antonio Grasso: Papst Franziskus hat uns aufgetragen, dass wir gegen die «Globalisierung der Gleichgültigkeit» kämpfen müssen. Wir leben in einem reichen Land, und dennoch laufen wir Gefahr, gleichgültig gegenüber dem Schmerz so vieler Menschen zu sein. Wir sehen die schrecklichen Bilder im TV und wechseln einfach beiläufig den Kanal. Was aber in der Welt geschieht, geht uns etwas an, und wir können helfen, auch mit kleinen Dingen.

Ist es eine Initiative von Einzelpersonen der Missione Cattolica?

Als ich nach Bern gekommen bin, habe ich die Gruppe «Volunteers for Refugees» ins Leben gerufen. Wir versuchen, das Bewusstsein für Migration und Flüchtlinge zu schärfen und die Gemeinschaft dafür zu sensibilisieren. Jedes Jahr wählen wir Themen, über die wir nachdenken und machen konkrete Aktionen, um unsere Unterstützung und Solidarität auszudrücken. Mit der Gruppe versuchen wir, unsere ganze Gemeinde einzubeziehen, aber auch Menschen, die nicht zur Mission gehören, aber dasselbe Ziel verfolgen. Wir organisieren oft Abende der Reflexion und Solidaritätsinitiativen, auch zusammen mit nicht-katholischen Gruppen. Für uns ist es wichtig, das gemeinsame Ziel zu verfolgen. Es ist keine Frage des Glaubens.

Wie muss man sich das praktisch vorstellen, was geschieht mit meinem gespendeten Pullover?

Diese Initiative gliedert sich in zwei Teile: Einerseits geht es um die Unterstützung von Hilfswerken wie Caritas oder Rotes Kreuz und weiteren NGOs, die in Bosnien oder Griechenland tätig sind. Andererseits geht es um die Sammlung von Kleidern, mit denen direkt und schnell Menschen geholfen wird. Wir haben den Verein «Open Eyes» in Bern kontaktiert, der bereits seit 2018 Kleidersammlungen organisiert und diese persönlich auf die Balkanroute bringt. «Open Eyes» ist hier schon länger aktiv, die Balkanroute ist ihnen vertraut. An sie werden wir daher diese Pakete liefern, die sie dann zu anderen Hilfswerken in Bosnien oder Griechenland bringen und den Migrantinnen und Migranten übergeben.

Gibt es persönliche Beziehungen nach Bosnien, weiss man, dass die Waren auch wirklich die Bedürftigen erreichen?

Wir als Mission kennen die lokalen Organisationen nicht, aber man muss vertrauen haben. Wenn wir spenden, tun wir es von Herzen. Dann müssen wir darauf vertrauen, dass das Geld ihr Ziel erreichen wird. Im Leben gibt es immer ein Risiko. Wir erleben es jeden Tag, wenn irgendein Mensch zu uns kommt und um Hilfe bittet. Was sollen wir tun? Manchmal geben wir vielleicht etwas Geld. Wie wird er es verwenden? Wir wissen es nicht. Wenn unsere Mitglieder eine Spende machen, vertrauen sie darauf, dass wir dieses Geld gut einsetzen. Es geht immer um Vertrauen.

Das ist letztlich Nothilfe, Hilfe bloss für den Moment?

Ja, aber es geht uns um zwei Aspekte. Zuerst steht die erste Hilfe im Mittelpunkt. Dann aber geht es uns um bewusstseinsbildende Massnahmen, um auf die Ursachen der Migrant*innenströme hinzuweisen und einzuwirken. Das versuchen wir mit Konferenzen, Unterschriftensammlungen, Briefen und politischem Druck. Vergessen wir nicht, dass diese Menschen dort sind, weil die westlichen Staaten in Kriege gezogen sind, um sogenannt die «Demokratie zu bringen». Welche Demokratie aber wurde gebracht? Wir müssen ehrlich sein und sagen, dass diese Menschen unter den Interessen unserer Regierungen leiden.

Welche Interessen sind das?

Das Mittelmeer steht im Zentrum eines internationalen geopolitischen Kampfes. Es gibt Interessen für die Kontrolle von Öl, Gas und den Zugang zum Meer. Der Kampf zwischen den grossen Staaten verursacht Schmerz und Leid bei den armen Menschen, nicht bei den Diktatoren oder Herrschern, die reich und geschützt sind. Derjenige, der flüchtet, ist nicht der Bösewicht, sondern der Arme.

Das klingt alles sehr dramatisch. Sehen Sie langfristig sinnvolle Lösungen?

Die Europäische Union finanziert die Balkanstaaten, um die Flüchtlinge zu stoppen. Das ist pure Heuchelei! Wir haben nicht nur dazu beigetragen, ihre Länder zu destabilisieren, sondern wir hindern sie jetzt daran, Sicherheit und Zuflucht zu finden. In diesen Staaten entlang der Balkanroute werden die Menschen geschlagen, vergewaltigt und misshandelt. Ihre Menschenrechte werden nicht respektiert. Und selbst wenn es jemandem gelingt, in ein Schengen-Land einzureisen, wird er zurückgeschickt. Das widerspricht internationalem Recht, und es wird von der EU finanziert. Ich habe Kardinal Jean-Claude Hollerich geschrieben. Er ist Erzbischof von Luxemburg und Vorsitzender der Europäischen Bischofskonferenz. Ich habe ihn um ein starkes und klares Wort im Namen der Kirche gebeten. Aber keine Reaktion. Die Kirche trägt, wenn sie schweigt, zur Globalisierung der Gleichgültigkeit bei.

Was würde helfen?

Auf lange Sicht werden nur tiefgreifende Massnahmen wirklich helfen: Das Ende der Wirtschaftskriege in Syrien und anderen Ländern des Nahen Ostens. Das Stoppen des Verkaufs von Waffen an korrupte Armeen. Das Ende der Ausbeutung von Rohstoffen in Afrika sowie langfristige angelegte Entwicklungsprojekte, damit es diesen Menschen in ihren Ländern gut geht.

Das ist ein langer Weg.

In der Zwischenzeit können wir die Menschen weiter für diese Themen sensibilisieren, um nicht gleichgültig zu sein. Wir müssen die Finanzierung korrupter Staaten wie der Türkei oder der Staaten auf dem Balkan stoppen. Auch die extremen Grenzkontrollen der EU, Frontex oder die libysche Küstenwache muss man stoppen. Es braucht humanitäre Korridore, um die Menschen von den Menschenhändlern wegzubringen.

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Kleider und Textilien für Flüchtlinge in Bosnien

Gesucht ist wintertaugliche Männerkleidung. Sauber, trocken und ohne Beschädigung. Hosen, Pullover, T-Shirts (Grössen S, M, L), Winterjacken, Ski- / Snowboardhosen, Trainer, Schuhe, Unterwäsche, Schlafsäcke, Matten, Rettungsdecken, Rucksäcke, Zelte etc.

Wo abgeben? Bei der Missione Cattolica di lingua Italiana di Berna, Bovetstrasse 1, 3007 Bern
Wann?
- Freitag, 29 Januar / Freitag, 5. Februar, 17.00-18.30 Uhr
- Samstag, 30. / Sonntag, 31. Januar, 11.00 - 14.00 Uhr.
- Samstag, 6. / Sonntag, 7. Februar, 11.00 - 14.00 Uhr.

Infos: Tel. 031 371 02 43, vrossett82@gmail.com
Verteilung der Sachspenden in Bosnien durch «Open Eyes».

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