«Ich ziele auf das System und davon sind sämtliche Hierarchiestufen betroffen.» Tobias Vögeli. Foto: facebook.com/tobias.vogeli.94

«Es ist dramatisch»

Grossrat Tobias Vögeli fordert: Sistierung der Gelder für die römisch-katholische Kirche

Grossrat Tobias Vögeli* will die Auszahlung der Kantonsgelder an die römisch-katholische Kirche in Bern vorübergehend sistieren. Er verlangt in zwei Motionen von der Kirche schlüssige Schutzkonzepte zur Verhinderung von sexuellem Missbrauch. Ausserdem will er das Kirchengesetz personalrechtlich verschärfen.

Interview: Andreas Krummenacher

«pfarrblatt»: Geht es Ihnen wirklich um die Sache oder ist die Thematik aktuell sehr geeignet, um Wahlkampf zu betreiben?

Tobias Vögeli: Überhaupt nicht. Es ist meiner Meinung nach dramatisch. Es geht mir um eine prospektive Sicht und die ist losgelöst vom Wahlkampf. Es ist entscheidend, sexuellem Missbrauch vorzubeugen. Die röm.-kath. Kirche ist hier in der Pflicht, entsprechende Konzepte zu erarbeiten. Diese müssen bei den strukturellen Problemen der Kirche ansetzen. Die Kirche ist eine Partnerin des Kantons und damit der Politik. Wir müssen hier genau hinschauen. Bei jeder anderen Partnerinstitution machen wir das auch. Im Gegenteil, wir hätten bei einer anderen Institution die Auszahlung von Steuergeldern schon längst auf Eis gelegt. Ich stelle die Kirche nicht grundsätzlich in Frage, vor allem nicht die Arbeit, die an der Basis geleistet wird.

Dann müsste man doch in Schulen, in der Psychiatrie, im Heimwesen grosse Untersuchungen anstrengen, die Geschichte aufarbeiten?

Ich stelle nicht in Frage, dass es in den genannten Bereichen nicht auch Missbrauch gab und gibt. Was im Fall der römisch-katholischen Kirche einzigartig ist, ist die systematische und institutionalisierte Vertuschung des sexuellen Missbrauchs. Die Institution hat offensichtlich mit einem systemischen Fehler zu kämpfen. Es ist schon schlimm genug, dass es zu sexuellem Missbrauch gekommen ist; anschliessend wurden diese Taten aber auch noch vertuscht und die Täter geschützt. Dieses System wurde über Jahrzehent aufrechterhalten und gelebt. Das ist im negativen Sinn einzigartig. So etwas finden Sie in keiner anderen Institution im Kanton Bern.

Was fordern Sie nun vom Kanton konkret?

Wir haben zwei Hebel. Das Geld und das kantonale Kirchengesetz. Im Gesetz müssen Anstellungskriterien festgehalten werden. Bei Seelsorgenden muss beispielsweise geprüft werden, ob es in der Vergangenheit entsprechende Vorwürfe gab. Das wirkt aber erst mittelfristig. Darum braucht es im Moment die Sistierung der Gelder. Aktuell bezahlen wir der römisch-katholischen Kirche 12 Millionen Franken für Löhne und gesamtgesellschaftliche Leistungen. Diese sollen jetzt an Auflagen geknüpft werden.

Die Kirche muss ein Schutzkonzept vorlegen, in dem dargelegt wird, wie sie künftige Missbrauchsfälle verhindern will. Daneben muss die Kirche erklären, wie sie vergangene und aktuelle Missbrauchsfälle aufarbeiten will. Der Grosse Rat kann dann entscheiden, ob das Konzept in Ordnung ist und dann allenfalls die Gelder wieder frei geben.

Im Bistum Basel müssen die Seelsorgenden intern bereits Strafregisterauszüge einreichen, auf dem Platz Bern gibt es Schutzkonzepte, einen Verhaltenskodex …

… hier würden wir anknüpfen. Die Leumundsüberprüfung können wir ohne weiteres implementieren, es gibt andere Bereiche, wo das ebenfalls stattfindet.

Die anerkannten Religionsgemeinschaften, auch die röm.-kath. Kirche, mussten Berichte zu ihren gesamtgesellschaftlichen Leistungen vorlegen. Im nächsten Jahr stehen Neuverhandlungen zur Auszahlung der Gelder an. Haben Ihre Motionen damit einen Zusammenhang?

Ich habe keine versteckte Agenda. Als Finanzpolitiker werde ich mich natürlich zu diesen Fragen zu gegebener Zeit äussern. Es gibt insofern einen Zusammenhang, weil in der Motion gefordert wird, dass neue Leistungsverträge erst dann wieder abgeschlossen werden, sobald die Konzepte vorliegen und geprüft wurden.

Wie stehen Sie grundsätzlich zu diesen Geldern, welche die Kirchen für gesamtgesellschaftliche Leistungen erhalten?

Ich bin für die Trennung von Kirche und Staat. Leistungen in der Grundversorgung sollten grundsätzlich vom Staat erbracht werden. Erbringt nun aber eine Kirche solche Leistungen, dann soll sie auch Geld dafür bekommen. In einer idealen Welt wären Kirche und Staat komplett getrennt. In der Realität ist das aber nicht so einfach. Selbst Seelsorge ist eine Grundleistung.

Die römisch-katholische Kirche ist sehr engagiert. Im Asylbereich, in der Freiwilligenarbeit, Mittagstische, im karitativen Bereich oder in Kooperationen. Gelder für Sans Papiers werden etwa im Rahmen einer Kooperation mit der Stadt Bern ausbezahlt …

Das ist richtig. Vielleicht macht es sich die Politik aber auch zu einfach, indem solche Aufgaben delegiert werden. Im Prinzip sind das gesamtgesellschaftliche Aufgaben, welche vom Staat finanziert und organisiert werden sollten.

Die Arbeit in den Pfarreien wird heute von vielfältig zusammengesetzten Teams professionell geleistet. Problematisch sind möglicherweise die Kirchenhierarchie und bischöfliche Verhaltensweisen. Ziele Sie auf die Falschen?

Ich ziele auf ein System und davon sind sämtliche Hierarchiestufen betroffen. Ich arbeite in einem Spital. Wir haben eine Tochtergesellschaft. Passieren dort Fehler, würden trotzdem wir als Mutterkonzern in die Pflicht genommen. Das ist auch richtig, wir tragen die Endverantwortung – als Institution, als Marke. Es spielt für mich also keine Rolle, auf welcher Ebene die Verfehlungen passiert sind. Ob in Solothurn, in Rom oder vor Ort. Ich betrachte die Institution insgesamt. Hier hat das System versagt, also muss ich dieses System adressieren.

Ist Ihnen bewusst, dass es am Bischofssitz in Solothurn einen residierenden Domherrn des Standes Bern gibt, quasi ein Verbindungsmann zwischen Bischof und Berner Regierung?

Das wusste ich tatsächlich nicht.

Erleben Sie in Ihrer politischen Arbeit Lobbyarbeit der Kirchen?

Sehr viel sogar. Wir Parlamentarier:innen bekommen jeweils Einladungen zu den Veranstaltungen, welche die Kirchen zu verschiedenen Fragen organisieren. Es gibt aber keine parlamentarische Gruppe Kirche oder Landeskirche.

Sind Sie Freidenker?

Nein, das bin ich nicht. Ich wuchs reformiert auf, war jahrelang Jungscharleiter. Inzwischen bin ich nicht mehr aktives Mitglied einer Kirche.

 

*Tobias Vögeli (28), Jurist, ist Co-Präsident der Jungen Grünliberalen Schweiz. Seit 2019 gehört er der Geschäftsführung der GLP Schweiz an. Er ist Finanzvorsteher von Frauenkappelen und ist seit 2022 Mitglied des Grossen Rates des Kantons Bern.

Mehr:
Motion Tobias Vögeli: «Aufarbeitung von systematischen Fehlstrukturen und Missbrauchsfällen in der römisch-katholischen Kirch
 

 

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