Das Alter, in dem man gern an einem See sitzt, holt alle früher oder später ein. Foto: Pia Neuenschwander

Es lächelt der See

Dieses Mal bringt uns die Serie zur Sommerzeit an den See

Beatrice Eichmann-Leutenegger begleitet uns mit Eindrücken, Beobachtungen und Gedanken zu sommerfrischen Orten. Lassen Sie sich von diesen Erzählungen und Augenblicken durch die Saison tragen – diesmal an den See.

von Beatrice Eichmann-Leutenegger
Fotos: Pia Neuenschwander

Sie sassen nebeneinander auf einer Bank am Sarnersee. Ein Mann und eine Frau, Jahr für Jahr, stets im Sommer. Es war die Zeit, da unsere Familie jeweils zwei Wochen im Pfarrhaus des Onkels verbrachte. Nach dem Frühstück brachen wir mit Sack und Pack Richtung Schwimmbad auf. Im kleinen Park mit seinen Blumenanlagen trafen wir das ältere Paar an, in hellen Farben gekleidet, einen Hut auf dem Kopf und die Augen mit einer dunklen Sonnenbrille geschützt. Es stammte aus Belgien, wie der Vater im Gespräch mit den beiden erfuhr.

 


Wie wir reisten auch der Mann und die Frau jeden Sommer nach Sarnen, wobei wir den Grund für ihr Ferienziel nicht kannten. Aber die gemeinsame Liebe für den Ort stiftete eine heimliche Verbindung. Das Paar wurde von Jahr zu Jahr hinfälliger, während sich unser jugendlicher Übermut steigerte. Aber wir erwarteten selbstverständlich jedes Jahr das Paar auf der Bank. Irgendwann trafen wir es nicht mehr an, und da schlich sich eine Ahnung der Vergänglichkeit ein.

... und da schlich sich eine Ahnung der Vergänglichkeit ein.


Damals dachten wir Kinder, man müsse sehr alt werden, um so ruhig auf einer Bank am See sitzen zu können, kaum ein Gespräch anzuknüpfen, einfach nur in den Anblick des Wassers vertieft zu sein. Schlicht langweilig! Wir dagegen stürzten uns in kleine Abenteuer, mieteten ein Paddelboot und fuhren auf das gegenüberliegende Ufer zu. Es ging nicht ohne Spritzer und Geschrei ab, mussten wir doch rechtzeitig umkehren, denn der Onkel hielt auf Pünktlichkeit. Punkt halb eins sollten wir am Mittagstisch sitzen.


Das Alter, in dem man gern an einem See sitzt, holt alle früher oder später ein, wenn sich das Bedürfnis nach Beschaulichkeit meldet. Kaum etwas beruhigt die flatternden Nerven mehr als der Blick aufs Wasser, das sich sanft kräuselt oder glatt und glänzend daliegt.

Kaum etwas beruhigt die flatternden Nerven mehr als der Blick aufs Wasser,...


Die an Seen reiche Schweiz zwingt niemandem eine lange Fahrt auf, um an diese Gewässer zu gelangen. Aber ihre Gesichter sind so mannigfaltig wie jene der Menschen. Es gibt die harmlosen Gesellen unter ihnen, und es gibt die stürmischen wilden Brüder. Doch selbst ein braves Wässerchen wie der Lauerzersee kann seine Tücken offenbaren und in Sturmzeiten das Boot einer Hochzeitsgesellschaft kentern lassen, wie uns die Mutter mit Schaudern erzählt hat.


Vom Vierwaldstättersee dagegen weiss man, was von ihm zu halten ist: Der Kerl kann sich jäh mit Wellenhügeln brüsten, als ob er ein Meer wäre, kann wie ein Chamäleon die Farben von blau auf grün wechseln, wenn der Föhn aus dem Reusstal über ihn hinwegpeitscht.

Doch der Weite eines Ozeans nähert man sich erst an, wenn man mit den Augen von Konstanz aus über den Bodensee schweift, wenn sich der Blick im Dunst verliert und keinen Halt mehr am Horizont findet. Ja, dies ist zu Recht das «Schwäbische Meer».


Aber auch der Genfersee bezaubert. Nie werde ich begreifen, dass man in jenem Augenblick, da der Zug aus dem Tunnel fährt und die Rebberge des Lavaux und den Lac Léman freigibt, einfach weiterhin auf den Laptop starren kann, als ob sich draussen keine Herrlichkeit entfalten würde. Dabei ist die Schau immer von Neuem überwältigend und zu jeder Jahreszeit eine Pracht für die Sinne.

Ich behaupte, dass sie abends sogar visionäre Züge annimmt. Es ist ein Blick in die Unendlichkeit, wenn die Augen westwärts schweifen – bis hin zum Genferbecken, über dem die Sonne untergeht.

Es ist ein Blick in die Unendlichkeit, wenn die Augen westwärts schweifen...


Über einem See spielte sich auch ein biblisches Ereignis von zentraler Bedeutung ab: die Bergpredigt mit ihren Seligpreisungen. Der See Gennesaret, der 212 Meter unter dem Meeresspiegel liegt und der am tiefsten gelegene Süsswassersee der Welt ist, zieht auch heute Israel-Reisende an. Wie ein funkelndes Juwel breitet er sich zwischen den Bergen mit ihrem rötlich-braunen Gestein aus. Damals stieg Jesus auf einen dieser Berge, setzte sich und begann zu reden. Die Parallele zu Moses, der auf dem Sinai die Auslegung des Gesetzes lehrte, drängt sich auf.


Vielleicht setzt man sich nächstens auf eine Bank am See und sinnt über Vergangenes nach. Aber gerade in Momenten der Entspannung kann es geschehen, dass eine kaum nennbare Melancholie das Gemüt befällt. So viel Versäumtes, so viel Ungelöstes! Die Trauer darüber hat man bisher ob all der Arbeit in Schach gehalten. Doch «selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden» (Mt 5,4).

«selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden» (Mt 5,4)


Hier gehts zur Serie «Am Fluss, im Wald, am See....»

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