Auch in Bern engagieren sich Menschen gegen den Ausbau von Frontex. Foto: Andreas Krummenacher

«Es sind Gottes Menschen und es ist Gottes Welt»

Pfarrer Christian Walti ist gegen den Frontex-Ausbau.

Soll die Schweiz sich am Ausbau der Grenzschutzorganisation Frontex beteiligen? Nein, sagt ein kirchliches Komitee. Der reformierte Berner Pfarrer Christian Walti erklärt, weshalb nicht.

Interview: Sylvia Stam

Sie waren kürzlich in Bosnien. Haben Sie dort die Arbeit von Frontex miterlebt?

Christian Walti: Wir haben von Flüchtenden gehört, dass sie über die Grenze zurück nach Bosnien gebracht wurden. Man nennt das «Pushbacks», wenn jemand über eine inoffizielle Grenze nach Europa gelangt und dann wieder zurückgebracht wird. Damit wird dieser Person verwehrt, in einem EU-Land Asyl zu beantragen. Das ist völkerrechtlich illegal.

Geschahen diese Pushbacks durch Frontex?

Frontex unterstützt die Grenzschutzbeam:innen an den EU-Aussengrenzen. Sie ist involviert in die Dokumentation der Einsätze der kroatischen Polizei und weiss somit Bescheid, dass diese Pushbacks durchgeführt werden. Wenn sie davon wissen und nichts dagegen tun, lässt Frontex Menschenrechtsverstösse zu.

Wie gehen Pushbacks vor sich?

Wir haben eine Familie aus Afghanistan am Morgen nach so einem Pushback getroffen. Sie hat berichtet, die Grenzbeamten hätten sie freundlich darauf hingewiesen, dass sie sich nicht länger in Kroatien aufhalten, sondern nach Bosnien, das kein EU-Land ist, zurückkehren sollen. Oft haben wir gehört, dass Flüchtende mit Androhungen von Schlägen über die Grenze zurückgejagt wurden. Das ist offenbar bei jungen Männern das übliche Vorgehen. Dadurch verhindert man, dass diese Menschen in Europa überhaupt Asyl beantragen können.

Sind Sie grundsätzlich dagegen, dass die EU ihre Grenzen verteidigt?

Bei Frontex geht es nicht um die militärische Verteidigung Europas, vielmehr sollen illegale Migration und Handel verhindert werden. Gleichzeitig will man sicherstellen, dass Menschen und Ware innerhalb des Schengen-Raums frei zirkulieren können. Das ermöglicht Europäer:innen eine gewisse Bequemlichkeit, aber das Gefälle zu Ländern ausserhalb des Schengen-Raums ist umso grösser.

Was missfällt Ihnen daran?

Dadurch wird zwischen problematischen und unproblematischen Ländern unterschieden. Das finde ich aus theologischer Sicht sehr bedenklich. Migrationsströme gibt es so oder so, weil Menschen den Eindruck haben, dass sie hier ein besseres Leben erwartet. Durch Pushbacks werden diese Menschen in eine Situation versetzt, dass sie weder zurück in ihr Herkunftsland können, noch vorwärts kommen. Sie geraten in eine Art Sisyphos-Mühle, aus der sie nicht mehr ausbrechen können.

Was wäre Ihrer Meinung nach ein sinnvollerer Umgang mit Migrationsströmen für Europa?

Es braucht Möglichkeiten für sichere Fluchtrouten, die begleitet sind. Hier sollen Menschen mit eigenem Aufwand unterwegs sein können, aber an einem Ort Zuflucht finden und die Chance bekommen, ein neues Leben anzufangen.

Sie plädieren für offene Grenzen für alle.

Aus meiner Sicht spricht nichts dagegen, die Idee des Schengen-Raums auf die ganze Welt auszudehnen. Es sind Gottes Menschen und es ist Gottes Welt. Der Grenzschutz, wie wir ihn betreiben, ist sehr kostspielig und verursacht menschenunwürdige Situationen.

Offene Grenzen würden unseren Wohlstand gefährden, Europa hat zudem nicht genügend Arbeitsplätze für alle.

Das Argument ist sehr von Angst geprägt. Es gibt keinen Beweis dafür. Auch innerhalb des Schengen-Raums gibt es Gegenden mit viel höherer Arbeitslosigkeit als die Schweiz. Trotzdem sind die grossen Migrationsströme ausgeblieben. Ich kann mir vorstellen, dass wir sogar positive Wirtschaftseffekte sehen würden. Viele Migrant:innen bringen Talente mit. Die Frage ist jedoch, wie sehr wir uns bemühen, mit diesen Menschen zusammen eine gemeinsame Kultur zu entwickeln. Doch das müssen wir unabhängig davon, wie viele Menschen zu uns kommen.

Warum engagieren sich Kirchen gegen den Ausbau von Frontex?

Theologisch wichtig ist, dass Menschenrechte für alle gelten. Wenn sie auf dem Spiel stehen, dann dürfen Kirchen sich positionieren und sich politisch äussern.

Der Name des Komitees erinnert an die Kampagne «Kirche für Konzernverantwortung». Werden Sie eine Fahne an den Kirchturm hängen?

Ich finde das nicht den effektivsten Weg. Mit dem Bericht über unsere Reise haben wir mehr erreicht. Unser Kirchgemeinderat unterstützt das Referendum, aber wir geben keine Wahlempfehlungen ab. Kürzlich fand in der Heiliggeist-Kirche ein Podium mit Befürworterinnen und Gegnern statt. Die Problematik dieser Vorlage kam hier so richtig aufs Tapet. Auf diese Weise soll sich die Kirche engagieren.  

Der reformierte Pfarrer Christian Walti (39) ist in der Kirchgemeinde Frieden und im Haus der Religionen in Bern tätig.

Am 15. Mai stimmen die Schweizer:innen darüber ab, ob der Beitrag an die europäische Grenzschutzorganisation Frontex von 24 auf jährlich 61 Millionen erhöht werden soll. Frontex unterstützt die Schengen-Staaten bei der Kontrolle ihrer Aussengrenzen. Bei einem Nein riskiert die Schweiz ihren Ausschluss aus Schengen/Dublin. Im ökumenischen Komitee «Kirchen gegen Frontex-Ausbau» engagieren sich kirchliche engagierte Einzelpersonen.

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