Gemeinsam essen gewinnt in der aktuellen Pandemiesituation an Wert. Machen wir es bewusst zum Fest. Foto: Martin Bichsel.

Eucharistie im Alltag

Vom Wert des gemeinsamen Mahlhaltens

Die aktuelle Pandemie zeigt auf, wie wertvoll gemeinschaftliches Mahlhalten sein kann. Freudiges gemeinsames Essen in der Nachfolge Jesu ist in der Eucharistie, aber auch im Alltag möglich. Ein Plädoyer.

Von Josef Wiedemeier*

Am 21. Mai 2020 erschien in der NZZ Harm Kluetings Beitrag «Warum die Kirche in Ausnahmesituationen auch ohne Sakramente auskommen kann». Der Autor ist Theologe, Historiker, Professor an der Universität Köln und katholischer Priester und hat lange in Freiburg i. Ü. gelehrt. Als ich seinen Beitrag las, konnte ich Kluetings Gedanken einen Moment lang folgen. Doch die Idee von «Messe ohne Eucharistie» liess mich nicht los, und ich fragte mich: Was soll das sein – eine Handelsveranstaltung?

Gemeinsames Danken

In der Eucharistie vollzieht sich die Verwandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi. Eucharistie (griech. «Ich sage Dank») ist das Wort für dieses eigentliche Geschehen, seit frühchristlicher Zeit schon. Wenn ich es recht überblicke, bezeichnet es das gemeinschaftliche, in Dankbarkeit vollzogene Gedächtnismahl von Christ*innen, die dem Auftrag Jesu Christi folgen, wie es zuerst durch Paulus (1 Kor 11,23-25) bezeugt ist: «Denn ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch dann überliefert habe: Jesus, der Herr, nahm in der Nacht, in der er ausgeliefert wurde, Brot, sprach das Dankgebet, brach das Brot und sagte: Das ist mein Leib für euch. Tut dies zu meinem Gedächtnis!

Die ursprüngliche Tischgemeinschaft verliert an Bedeutung

Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch und sagte: Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut. Tut dies, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis!» Das gemeinsame Mahl, das gemeinsame Teilen von Brot und Wein, ist das Geschehen, in dem sich das Dankgebet und das Gedächtnis vollzieht. Wie oft wird dieses Grundgeschehen ausgeblendet – so zum Beispiel auch weitgehend im anfangs erwähnten NZZ-Artikel. Klar, in der Geschichte der Liturgie löste sich das Sättigungsmahl bald vom rituellen Mahl, der Mahlcharakter verflüchtigte sich mit dem Vordringen des Opfergedankens und damit auch das Wissen, dass in der Mahlgemeinschaft die dankbare Erinnerung ihren Ort hat. Stattdessen gewann der subjektive Vollzug an Bedeutung: Das «Wir/Ihr» als wesentliches Element des Sakraments verlor an Bedeutung gegenüber dem «Ich» des Liturgen bzw. der einzelnen Gläubigen, was in der «geistlichen Kommunion» gipfelte.

Das gemeinsame Mahl neu entdecken

Was ich derzeit am schmerzlichsten vermisse, ist tatsächlich die gottesdienstliche Gemeinschaft, das gemeinsame Danksagen und Gottloben sowie Klagen und Beten, das gemeinsame Singen und Lachen, die Nähe zu vertrauten Menschen, die Begegnungen im und nach dem Gottesdienst. Insofern ist alles, was die Corona-Hygieneregeln uns abverlangen, eine Zumutung: Distanzhalten, Masken im Gottesdienst (surreal!), kein Singen... Noch mehr Zumutung sind für mich all die Online-Gottesdienste, weil sie allenfalls eine Fiktion von Gemeinschaft herstellen. Die Pandemie könnte uns stattdessen den Wert des gemeinsamen Mahlhaltens lehren, des Essens, das ja derzeit auch nicht mehr so gemeinschaftlich stattfinden kann – dass dieses zu einem Fest, wieder neu zu ermessen und seine sakramentale Dimension zu erfassen wird.

Gastfreundschaft und Festfreude im Sinne Jesu

Der Ort, den der im NZZ-Beitrag zitierte Schriftsteller Martin Mosebach so schmerzlich vermisst, wäre dann ein Esstisch, und das Essen und Trinken, Brot, Wein und was sonst noch dazugehört, könnte zum dankbaren Gedächtnis werden: Gastfreundschaft und Festesfreude als Nachfolge Jesu, wie auch die Bereitschaft der Hingabe für andere. Wenn wir den Mut hätten, die feinsäuberliche Grenze zwischen profan und sakral zu durchbrechen, und mit der Inkarnation Ernst zu machen, könnte eine eucharistische Alltagskultur Raum fassen. Vielleicht ist das der eigentliche geistliche Impuls, der von der unübersichtlichen Gemengelage ausgehen kann.

 

 

*Josef Wiedemeier ist Kaplan im Pastoralraum Oberaargau

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