Religionen für den Frieden an der Demo in Bern: Montassar BenMrad (Muslim:innen, FIDS), Ralph Friedländer (Juden und Jüdinnen, SIG), Harald Rein (Christkatholik:innen) Rita Famos (Reformierte, EKS). Foto: Sylvia Stam

«Friede muss mit Kraft erarbeitet werden»

Friedensdemo vom 2. April in Bern

Tausende Demonstranten sind an der nationalen Friedenskundgebung am Samstag durch Bern gezogen. Darunter war auch ein «Kirchen-Block», der mit dem Transparent «Religionen für den Frieden» auffiel.

Von Vera Rüttimann, Fotos: Sylvia Stam

Von den einfahrenden Zügen in Bern bietet sich ein ungewöhnlicher Anblick: Auf der Schützenmatte, direkt neben der Bahntrasse, haben sich tausende Menschen versammelt. Sie demonstrieren gegen den Krieg in der Ukraine. Ein Meer aus gelb-blauen Fahnen färbt die Menschenmenge. Einige Zugführer hupen bei der Einfahrt – wohl als Solidaritätsbekundung. Von allen Seiten strömen die Leute auf den grossen Platz neben der Reithalle. Zur Kundgebung aufgerufen haben über 70 Organisationen, Gewerkschaften, religiöse Gemeinschaften und Parteien.

Der «Kirchenblock»

Der Demonstrationszug setzt sich in Bewegung. Die Menschen stimmen Slogans an wie «Power to the People», «Hey hey, ho ho, fossil fuels, they have to go» oder «Stoppt Putin!». Der Umzug biegt nun auf den Waisenhausplatz ein. Dann biegt er via Kornhausplatz auf den Bundesplatz ein. Rund 10’000 Menschen laufen mittlerweile mit ihren Fahnen durch die Strassen, wie die Organisatoren später bekannt geben. Das Schneegestöber wird immer dichter.  Mittendrin marschiert auch ein «Kirchen-Block». Ihre Vertreter tragen ein blaues Transparent mit der Aufschrift «Religionen für den Frieden». Es ist unübersehbar und wird von Pressefotografen eifrig fotografiert.

Kirchenpromis

Die Träger des Transparentes sind prominent. Darunter sind: Abel Manoukian, Generalsekretär des Schweizerischen Rates der Religionen; Ralph Friedländer, Vizepräsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG); Rita Famos, Präsidentin der evangelisch-reformierten Kirche der Schweiz; Harald Rein, Bischof der Christkatholischen Kirche der Schweiz; Montassar BenMrad von der Föderation islamischer Dachorganisationen Schweiz; Jean-Luc Ziehli, Präsident der Réseau évangélique suisse-Alliance Presse. Katholischerseits hätte Charles Morerod, Bischof von Lausanne, Freiburg und Genf, an der Demo teilnehmen sollen. Er war jedoch verhindert.

Ukrainisches Musikerpaar spielt Konzert

Auf dem Bundesplatz blicken die Demonstrierenden auf die Bühne, wo gleich die Reden beginnen sollen. Davor findet da ein Konzert mit ukrainischer Musik statt – performt von einem Ehepaar aus der Ukraine. Es sind professionelle Musiker, die nach Kriegsbeginn mit ihren Kindern in die Schweiz geflüchtet sind. Seit zwei Wochen besitzen sie den Schutzstatus S. Der emotionale Gesang bewegt die Leute auf dem Platz. Viele Ukrainer singen mit. So auch Sabina Iacazzi. Die Frau mit der Friedensfahne in der Hand stammt aus Moldawien und ist an der ukrainischen Grenze aufgewachsen. Sie lebt mit ihrer Familie seit vielen Jahren in der Schweiz.

Bombennächte und Gräueltaten

Die erste Rednerin spricht per Liveschaltung aus der Westukraine. Es ist Olesia Briazgunova, Vertreterin KVPU (Confederation of Free Trade Unions of Ukraine). Ihre Schilderungen über die Bombennächte, das Ausharren in Kellern und die Gräueltaten der russischen Soldaten gehen unter die Haut.  Sie appelliert an die Anwesenden, die Ukraine nicht im Stich zu lassen.
Als nächstes spricht Alexandra Karle. Die Geschäftsleiterin von Amnesty Schweiz sagt: «Danke, dass ihr auch bei Schnee und Eis da seid.» Sie liest vor, was ihr ihre Kollegin von Amnesty Ukraine zu Kriegsbeginn geschrieben hat: «Auf Twitter habe ich nach Anzeichen gesucht, dass die lange vorhergesagte russische Invasion nicht stattfinden würde. Und dann die Nachricht: Es hat angefangen. Wir schnappten unsere Rucksäcke, zogen unserer schlaftrunkenen Tochter den Mantel über und verliessen unser Haus. Ohne zurückzublicken.»

Starke Stimme der Kirche

Nun tritt Rita Famos ans Mikro. Die Präsidentin der evangelisch-reformierten Kirche der Schweiz vertritt an dieser Demo die Stimme der Kirche Schweiz.  «Frieden ist die Sehnsucht aller Menschen und das Ziel, das alle Religionen verbindet», sagt sie. Die Wirklichkeit jedoch sei eine andere. Friede falle nicht vom Himmel. «Er muss mit Kraft, Mut und Hingabe erarbeitet, erhalten und verteidigt werden. Täglich, überall. Von uns allen.»
Rita Famos geht in ihrer Rede ein auf ein bekanntes Motiv, das in den Achtzigerjahren oft an den Ärmeln von Parkas zu sehen war. 1959 habe die damalige sowjetische Regierung der UNO eine Statue des Ukrainischen Bildhauers Jewgeni Wiktorowitsch Wutschetitsch geschenkt. Es stelle einen Mann dar, der sein Schwert zu einem Pflug umgeschmiedet habe. «Schwerter zu Pflugscharen», dieser Slogan avancierte zu einem Leitmotiv der Friedensbewegung.
Rita Famos appelliert in ihrer Rede an Wladimir Putin: «Nehmen Sie diese prophetische Geste der damaligen sowjetischen Regierung zum Vorbild. Es steht in ihrer Verantwortung, dass die Felder in der Ukraine wieder gepflügt und gesät werden können.» Die Präsidentin der evangelisch-reformierten Kirche der Schweiz appelliert auch an Patriarch Kyrill I, das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche in Moskau: «Zeigen Sie Präsident Putin auf, dass es keine christliche Legitimation gibt für diesen Krieg.»

Die ganze Demo über steht auch Harald Rein auf dem Platz und hält das Transparent. Er sagt: «Ich finde es beeindruckend, dass so viele Menschen so bewegt sind dadurch, dass ein freies Land wie die Ukraine überfallen wurde.»
Dieser Krieg gehe ihm nahe. «Ich habe einen engen Bezug zu orthodoxen Kirchen, die ja den christkatholischen sehr nahe sind», so Rein. Für ihn ist unfassbar, dass es zu diesem weltweiten neuen Kalten Krieg gekommen ist. Und er findet es gut, dass die Stimme der Kirchen auf den Kundgebungen für den Frieden zu hören sei: «Alle haben von Anfang an stark Stellung gegen diesen Krieg bezogen.»

Auch Abel Manoukian, Generalsekretär des Schweizerischen Rates der Religionen zeigt sich beeindruckt von diesem Tag. «Es ist gewaltig. Ich freue mich, dass so viele Leute von überall her zusammengekommen sind, um sich für den Frieden einzusetzen.» Der Frieden sei die Grundbotschaft aller Religionen.

Die Grossmutter aus Polen

Die Reden sind zu Ende. Im Schneegestöber verlassen die Menschen den Platz. Andrea Pfäffli wärmt sich nach der Kundgebung in einem Restaurant am Kornhausplatz. Die Demo hat sie bewegt: «Es gibt offensichtlich viele Leute, die auch bei diesem Wetter rausgehen und ein Zeichen gegen den Krieg setzen wollen.»
Dass unter den Demonstrierenden auch Flüchtlinge aus der Ukraine anwesend waren, beeindruckt Pfäffli. «Wenn man mit solchen Menschen, die alles verloren haben, zusammen an einem Ort ist, berührt es einen schon sehr.» Über ihre Beweggründe an dieser Demo teilzunehmen, sagt sie: «Ich war einerseits als Co-Geschäftsleiterin der Jubla hier, anderseits auch aus persönlichen Motiven.» Mit dem Thema Krieg sei sie schon als Kind konfrontiert worden. Ihre Grossmutter sei in Preussen, im heutigen Polen, aufgewachsen, sagt Pfäffli. Kurz vor Kriegsende um 1944 sei sie vor den Russen geflüchtet. Über die Erlebnisse ihrer Grossmutter im Zweiten Weltkrieg und deren Neubeginn in Zürich hat Andrea Pfäffli ihre Maturaarbeit geschrieben. Die 32-Jährige sagt: «Das Dorf, aus dem meine Grossmutter flüchten musste, habe ich als Kind oft besucht.»

Jubla lädt Flüchtlingskinder zu Lagern ein

In ihrem Umfeld hätten sich viele bereit erklärt, Flüchtlinge aufzunehmen. Auch Andrea Pfäffli wird ein privates Bett zur Verfügung stellen. Jungwacht Blauring Schweiz (Jubla) engagiere sich stark für ukrainische Flüchtlinge. Das habe auch mit dem Leitbild des Jugendverbandes zu tun, erklärt Andrea Pfäffli: «Wir stehen ein für Gerechtigkeit, Frieden und Solidarität.»
Lokal gebe es schon diverse Angebote für geflüchtete Kinder aus der Ukraine.  Andrea Pfäffli sagt: «Wir laden sie zu Freizeitaktivitäten der Jubla ein. In den Sommerlagern sollen auch Flüchtlingskinder aus der Ukraine teilnehmen können.»

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