Kinder im zweisprachigen Kindergarten. Foto: Christoph Knoch

Friedensdorf seit einem halben Jahrhundert

Wie der Frieden im Kleinen möglich ist

Im jüdisch-arabischen Dorf Neve Shalom/Wahat al-Salam schaffen die Bewohnerinnen und Bewohner im Kleinen, was im Grossen fehlt: Frieden.

Von Christoph Knoch

Von Tel Aviv nach Jerusalem rollt der Verkehr, für viele ist es der tägliche Arbeitsweg. Bevor die Autobahn, eingezwängt zwischen den judäischen Bergen, rasch an Höhe gewinnt, leuchten rechts die Häuser von Neve Shalom/Wahat al-Salam in der Sonne.

Blutige Schlachten wurden hier seit über 2000 Jahren geschlagen, Makkabäer, Kreuzfahrer, Briten, Araber und Israelis kämpften gegeneinander. Die Schützengräben sind zugeschüttet. Über den Ruinen arabischer Dörfer lädt der «Park Canada» zu Familienausflügen ein, und Kinder spielen unter alten Bäumen.

Freizeitpark auf Gräbern

Von da schweift der Blick zur ehemaligen Kreuzfahrerburg, bewohnt von der deutschen Jesusbruderschaft, und zu «Mini Israel». Nur wenige, die den Freizeitpark besuchen, wissen, dass sie über Gräber ägyptischer Soldaten aus dem Sechstage-Krieg von 1967 schlendern. Auch das Panzermuseum unterhalb des imposanten Klosters von Latrun, wo Mönche Wein und Likör zum Verkauf anbieten, erinnert an kriegerische Zeiten.

In dieser geschichtsträchtigen Gegend gründete Bruno Hussar Anfang der 1970er-Jahre das Dorf, das auf Hebräisch Neve Shalom und Arabisch Wahat al-Salam heisst. Der in Ägypten geborene ­Jude wurde in Paris katholisch und in ­Israel zum Dominikanerpater, startete mit einfachen Baracken und einem alten Bus; fliessendes Wasser und Strom fehlten. Heute leben hier rund 300 Juden und Araber friedlich zusammen. Gäbe es Platz, wären es mehr. Die meisten arbeiten in Tel Aviv oder Jerusalem.

Das Friedensdorf im Film

Der Filmemacher Maayan Schwartz ist in Neve Shalom/Wahat al-Salam aufgewachsen. Sein Film «Friedenskinder» feierte kürzlich Premiere in Tel Aviv: «Ich war überwältigt vom positiven Echo», erzählt der 35-Jährige. Im Zentrum stehen dokumentarische Film­ausschnitte und Gespräche. «Ich konnte mit vielen Bekannten und Freunden reden, die zwar mit mir aufgewachsen sind, später aber das Dorf verlassen und anderswo gelebt haben und schliesslich wieder zurückgekommen sind», sagt Schwartz.

So etwa mit seinem besten Schulfreund Hilal. Ihre Wege trennten sich, als Hilal in der Oberstufe in eine arabisch-christliche Schule in Ramle wechseln musste. «Lange Schultage und ein weiter Weg, da blieb wenig gemeinsame Zeit», erinnert sich Maayan. Doch nicht nur die fehlende Zeit brachte Distanz. Hilal lebte von da an in einer anderen Welt, in einem anderen Schulsystem mit Schuluniform, strengen Regeln und grossen Klassen.

Konflikte gehören dazu

Heute sind beide wieder im Friedensdorf zu Hause, und Hilal stellt mit Bedauern fest, dass es in ­Israel immer noch Parallelwelten gibt. «Die meisten Leute im Land bleiben in ihrer arabischen oder jüdischen Bubble. Sie leben für sich und sehen die andern nicht.» «Konflikte sind unvermeidbar, aber im Dorf können wir mit ihnen leben», berichtet Shireen im Film.

Sie stammt aus einer religiös-muslimischen Familie, ist in Neve Shalom/Wahat al-Salam aufgewachsen und ­lebte nach der Hochzeit mehrere Jahre im Haus der Familie ihres Mannes in der Altstadt von Jerusalem. Für sie sei es unerträglich geworden, dass ihre Kinder in der Schule Lieder über palästinensische Märtyrer singen mussten. «Wir wollten nicht, dass unsere Kinder täglich bis an die Zähne bewaffnete israelische Soldaten zu sehen bekommen», sagt sie. «Deshalb sind wir hierher zurückgekommen, um mit Juden freundschaftlich zusammenzuleben.»

Eine Erfolgsgeschichte

Das international viel beachtete Friedensprojekt bleibe ein Ort gelebter Hoffnung, als Widerstands­erklärung gegen Hass, sagt die ehemalige Bundesrätin Ruth Dreifuss im Film. Samuel Fanous, Pfarrer der anglikanisch-arabischen Gemeinde in der jüdisch-arabisch gemischten Stadt Ramle, besuchte vor über vierzig Jahren zum ersten Mal einen Kurs in der «Friedens­schule» in Neve Shalom/Wahat al-Salam.

«Dort habe ich gelernt, dass ich als arabischer Christ Juden auf Augenhöhe begegnen und meine Geschichte offen erzählen darf, ­ohne angegriffen zu werden», fasst er seine Erfahrungen zusammen. Das habe seinen Umgang mit dem Konflikt verändert: «Meine Geschichte gehört zu mir, so wie die meines Gegenübers zu ihm oder ihr gehört. Bis heute wird das in der Friedensschule weitergegeben.»


Erstpublikation in der «zVisite»

Christoph Knoch ist reformierter Pfarrer im Ruhestand, hat seit ­seinem Jerusalemer Studienjahr (1980) das Friedensdorf regelmässig besucht und macht im März 2023 mit einer Reise­gruppe in Neve ­Shalom/Wahat al-Salam Halt.

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