Nur Tee und Suppe. Nichts Süsses, kein Kaffee, kein Wein. Hält man das aus? Unser Autor hat’s gemacht: eine Woche lang nichts gegessen – gefastet.
Von Marcel Friedli*
Seit dem Lockdown letzten Dezember findet kein Yoga mehr vor Ort statt – auch mein Alltag hat sich verändert. Da meine Einsätze als Yogalehrer am Abend wegfallen, ist mein Leben ruhiger geworden. Also der ideale Moment, um zu fasten – endlich wieder! Das Bedürfnis trage ich schon länger in und mit mir. Doch in den letzten Jahren war mein Alltag zu unruhig, ich fühlte mich nicht bereit.
Sobald die Fastentage fix in meiner Agenda eingetragen sind, beginnt die Vorfreude zu wachsen. Eine Woche vor dem Start besorge ich Glaubersalz. In Wasser aufgelöst, werde ich es einnehmen, um meinen Darm zu entleeren. Doch vorher will ich die lukullischen Freuden auskosten: Mit Freund*innen geniesse ich Raclette und das letzte Glas Weisswein.
Das letzte Schoggistängeli
Dann geht es los mit dem Entlastungstag: Kaffee ade – kein Cappuccino, wie ich es zum Start in den Tag gewöhnt bin. Als Alternative wähle ich Grüntee. Er wärmt den Bauch und hat eine leicht anregende Wirkung. Dann das allerletzte Essen für fast eine Woche: selbstgemachte Bärlauchspätzli, die ich Bissen um Bissen kaue. Ich verabschiede mich vorübergehend von einer lieben Gewohnheit: etwas Süsses zum Kaffee. Das letzte Schoggistängeli lasse ich auf der Zunge zergehen. Gegen Abend schütte ich das Glaubersalz in einen Krug Wasser. Trinke und trinke. Es hat einen widerlichen Geschmack, an den ich mich jedoch nach und nach gewöhne. In den nächsten Stunden wird das Bad zum Ort, an dem ich mich am häufigsten aufhalte.
Mit Tee besänftigen
In dieser Woche gewöhnte ich mich daran, anderen beim Essen zuzusehen. Die Tête-de-Moine-Rose gluschtet mich ebenso wie die Gorgonzola-Pasta. Ich bin froh, nicht zu pendeln und somit nicht dauernd verlockenden Düften ausgesetzt zu sein. Konzentriere ich mich auf meine warme Suppe, merke ich, dass sie mir Energie schenkt.
Während der ganzen Woche verspüre ich weder Hunger noch Appetit. Hie und da ein Grummeln oder Ziehen im Magen. Es lässt sich besänftigen mit viel warmem Tee – und zieht vorbei. Ich arbeite jeweils am Morgen. Nachmittags lese ich, gehe an die frische Luft, um die Sonne und den herannahenden Frühling zu geniessen: höre die Vögel zwitschern und staune, wie schön die Mandarinenente ist, die im Königsweiher schwimmt.
Castingshow und Frischkäse
Am vierten Tag gehe ich joggen. Der Wind peitscht durch die Bäume und die noch kahlen Äste. Ich versuchte, das Tempo weise zu wählen. Mich zu bewegen, tut mir gut. Hie und da fühle ich mich etwas müde. Es ist mir leicht schwindlig, was jeweils rasch vorübergeht. Ich liege auf dem Sofa, höre Musik, meditiere, lese. Nachts schlafe ich tief und erholsam. Zweimal bin ich um vier hellwach und kann erst nach einer Stunde wieder einschlafen. Noch deutlicher als sonst erinnere mich an Träume: Ich nehme an einer Castingshow teil, bei der ich zu meiner Überraschung eine Runde weiterkomme. Träume von Frischkäse, Orangen, bierseligen Partys.
Von Bärlauch zu Bärlauch
Als uns meine Schwägerin zu ihrem runden Geburtstag einlädt, weiss ich: Das ist die Gelegenheit, wieder feste Nahrung zu mir zu nehmen. Ich schätze es, dies im Beisein meiner Familie zu tun. Ein Kreis schliesst sich, denn: Es ist wieder etwas mit Bärlauch, eine Bärlauchwähe. Die Bissen, sie sind klein, aber fein. Ich esse noch langsamer als meine Schwiegermutter, die darin Weltmeisterin ist. So sehr ich mich freue, wieder feste Nahrung zu mir zu nehmen, so sehr spüre ich Wehmut: schade, dass es vorbei ist!
In den Tagen darauf gehe ich erst vor Mitternacht ins Bett – obwohl ich mich kaum müde fühle.
*Vor gut zwanzig Jahren hat Marcel Friedli das erste Mal gefastet: in einer Gruppe unter Anleitung eines Kapuziners. Seine Ausbildung zum Yogalehrer beinhaltete ein neuntägiges Fastenretreat, das von Inputs zur Mystik begleitet wurde. Er fastet hie und da für sich. Marcel Friedli arbeitet als Yogalehrer in Langenthal und Solothurn sowie als freischaffender Journalist, unter anderem fürs «pfarrblatt» Bern.
Spirituelle Tradition
Fasten ist eine spirituelle Praxis, um durchlässiger zu werden. Es ist in vielen spirituellen Traditionen verankert, auch im Christentum. Jesus und viele Heilige verzichteten für eine bestimmte Zeit auf feste Nahrung und verbanden dies mit Einkehr und Rückzug in die Stille.
Die Fastenzeit beginnt am Aschermittwoch und dauert bis Ostern. Im christlichen Kontext symbolisiert sie den Weg Jesu zur Auferstehung. Manche Menschen praktizieren Teilfasten: Sie verzichten auf Gewohnheiten oder Genussmittel, die ihnen lieb sind. So verbinden sie sich mit Menschen, die Not und Mangel leiden und drücken ihre Solidarität aus. Andere fasten aus gesundheitlichen Gründen: um den Körper zu reinigen und zu entschlacken. Also eine Art Frühlingsputz für den Körper.