Sie schuf Bilder für die Ewigkeit. Das Haus der Fotografie in Olten zeigt die Ausstellung «Vivian Maier – Anthology». Vivian Maier wurde zum Weltstar, obwohl sie zu ihrer Lebzeit nie ein einziges Bild öffentlich zeigte. Sie hatte einen sensiblen Blick für Randständige.
von Vera Rüttimann
Im Haus der Fotografie ist kaum mehr Platz. In Trauben stehen die Gäste der Vernissage vor den Bildern der weltberühmten Fotografin. Sie hatte ein Gefühl für den richtigen Moment und einen Sinn für Poesie. Zu sehen sind Bilder wie die von einem Händchen haltendem Paar, von spielenden Kindern in einer Wasserfontäne oder von einem schwarzen Jungen auf einem riesigen Pferd in Queens.
Berühmt ist auch das Bild von einem Mann, der eine flatternde Taube in der Hand hält. Vivian Maier fotografierte oft auch Menschen am Rande der Gesellschaft: Zu sehen ist ein zusammengekauerter Mann, ein alter Mann mit ausdruckslosen Augen oder ein schwarzer Schuhputzer.
Posthumer Ruhm
Vivian Maier, so informiert eine Schautafel, arbeitete von 1951 bis 1993 in Familien in New York und Chicago. Dabei fotografierte sie bei jeder Gelegenheit – aber nur für sich. Als 2009 mit 83 Jahren starb, allein und mittellos, hinterliess sie zehntausende Negative und unentwickelten Filmrollen.
Bekannt wurde Vivian Maier erst nach ihrem Tod. Aus reinem Zufall. Der Stadthistoriker und Immobilienmakler John Maloof ersteigerte 2007 bei einer Auktion in Chicago eine ganze Kiste voller Negative. Damit konnte er erst nichts damit anfangen. Erst, als er einige Negative digitalisierte und auf Flickr stelle, erkannte er, was für einen Schatz er geborgen hatte. Vivian Maier wurde über Nacht weltberühmt. Auch die Oscar-nominierte Dokumentation Finding Vivian Maier, die 2013 erschien, trug dazu bei.
Will ich gesehen werden?
Das Kindermädchen mit der Kamera hat Menschen in Strassen mit Witz und Kreativität eingefangen. Beim Rundgang durch diese Ausstellung gehen dem Betrachter viele Gedanken durch den Kopf. Es geht auch um existentielle Fragen wie: Wollen wir gesehen und gefunden werden? Und: Wollen wir unsere wahren Schätze allen zeigen oder halten wir sie bewusst zurück? Vivian Maier wollte vielleicht gar nicht gefunden werden. Vielleicht ist sie die Patronin aller Un-Gesehenen oder nicht-gefunden-werden-wollenden. Vivian Maier war eine Pionierin der Selfie-Kultur. Sie hat viele komplexe Selbstporträts geschaffen – und hat sich oft in Spiegelungen «versteckt».
Wie wollen wir sehen?
Vivian Maier hatte eine besondere Art zu fotografieren. Sie fotografierte mit einer quadratischen Rolleiflex-Spiegelreflexkamera. Ein Stück davon ist in der Ausstellung zu sehen. Beim Fotografieren sah sie nicht durch einen Sucher, sondern durch einen Schacht. Weil die Leute das nicht bemerkten, konnte sie unbemerkt fotografieren. Sie fotografierte analog, Film war teuer. Daher schaute sie achtsam hin, komponierte genau und nahm sich Zeit. Sie begegnete den Leuten meist mit Respekt.
Was sagt das über unsere Art zu fotografieren heute aus? Wie wollen wir sehen? Vivian Maier, schrieb ein Kritiker, habe sich nicht um ihre Karriere, um Ausstellungen, um die Rezeption ihrer Bilder gekümmert. «Ihr ging es um das Bilder machen.»
Beispiel für Selbstbestimmung
Ein Kritiker nannte Vivian Maier einmal «einer der eigenartigsten Fotografinnen des 20. Jahrhundert». Was sie für ein Mensch war, warum sie machte, was sie tat, das kann wohl keine Ausstellung, Buch oder Dokumentarfilm je ganz ausleuchten.
Was Buchautoren herausfanden, ist jedoch dies: In ihrer Kindheit erfuhr Vivian Maier elterliche Zurückweisung. Sie floh von den Suchtkrankheiten ihrer Familie und fand ihre lebenslange Liebe in der Fotografie. Sie ging eigensinnig und unabhängig ihren Weg. Ihr Leben ist ein Beispiel für Selbstbestimmung, Mut und Kunstfertigkeit mit der Kamera.
Ausstellung «Vivian Maier – Anthology» noch bis 19. Mai im Haus der Fotografie Olten, Kirchgasse 10, 4500 Olten
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