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Geschlossen

Kolumne aus der Inselspitalseelsorge

Wir kannten das historische Thermalbad in diesem abgelegenen ungarischen Dorf von unserem letzten Ferienaufenthalt und wussten, dass man abends dort unbewacht baden konnte. Doch als wir uns dem Bassin näherten, kreuzten wir den Bademeister. «Das Bad ist geschlossen», murmelte er und schaute in die enttäuschten Gesichter meiner Kinder. «Das Bad ist geschlossen», doppelte er nach und fügte hinzu: «Doch wissen Sie, ich werde meine Sachen gleich zusammenpacken und eine Schlussrunde drehen. Es dauert mit ­Sicherheit fast eine Stunde, bis ich zurückkomme.» Sollte das eine Einladung sein? fragte ich mich und schaute etwas unsicher. Er schmunzelte: «Das Bad ist zu, ich werde gleich weg sein, ob dann hier noch jemand badet, geht mich nichts an.» Das half. Meine Kinder standen verdutzt neben mir, und er jagte uns mit einer eindeutigen Geste fort und erklärte mit Nachdruck, dass das Bad geschlossen sei. Wir drehten eine Runde dem Fluss entlang und kehrten fünfzehn Minuten später zum Bassin ­zurück, wo wir in der untergehenden Abendsonne das warme, leicht nach Schwefel riechende Bad genossen. Eine Woche später stand ich am frühen Morgen vor dem verschlossenen Tor zum Freibad am Plattensee. Als ich zwei Stunden später, pünktlich zur Öffnungszeit an der Kasse eine Eintrittskarte kaufte und für eine kurze Abkühlung im See den ganzen Tageseintritt bezahlen musste, glaubte ich kaum, dass all die Menschen auf dem Steg eben erst gekommen waren. «Wie bist du hier reingekommen?», fragte ich ­einen jungen Mann, der eben aus dem Wasser stieg. «Das Schloss lässt sich öffnen», verriet er mir. «Es ist nur eine Attrappe. Am frühen Morgen machen das hier alle so.» Das merkte ich mir für den nächsten Tag, und seit ich wieder zurück bin von meinem Sommerurlaub in Ungarn, kommen mir ab und zu ­diese Geschichten in den Sinn, wenn ich Menschen besuche, die sich auf den Isolationsstationen des Spitals nach ein wenig frischer Luft und Perspektive sehnen.

«Ich werde hier gleich verrückt», sagte kürzlich eine junge Frau zu mir. «Ich muss jetzt einen Moment raus. Ich bin doch hier nicht im Gefängnis, oder?» Sie hatte mir von einer trau­matischen Kindheit und Jugend hinter ­Gittern im Kinderheim und in der ­Jugendstrafanstalt erzählt – und bald wurde klar, dass das gesamte Behandlungsteam beide Augen zudrücken würde, während ich die Patientin auf dem Weg zur Genesung für eine kurze Pause zur Raucherecke begleiten ­durfte.

Simone Bühler, Seelsorgerin im Inselspital

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