Mit fast vierzig Konzerten bis Ende des Jahres und davon 13 Auftritten alleine in der Schweiz will «the King of Klezmer», Giora Feidmann, sein Publikum zum friedlichen Miteinander führen. Wir befragten ihn zu seinem Sprachrohr, das Klarinette heisst, und dem Krieg in Israel.
Interview: Christina Burghagen
«pfarrblatt»: Lieber Herr Feidmann, Sie geben in diesen Tagen 13 Konzerte in der Schweiz und darauf folgen etliche Konzerte im Osten und Norden Deutschlands. Warum tun sie sich diesen Stress noch an? Immerhin sind Sie 87 Jahre alt.
Giora Feidmann: Zunächst muss ich Ihnen mitteilen, dass Musik für mich so essenziell ist wie die Luft zum Atmen. Ich kann ohne die Bühne und die Liebe meines Publikums nicht existieren. Solange ich die Liebe spüre und hoffentlich noch einige Jahre von Gott geschenkt bekomme, werde ich mich weiterhin für Weltfrieden und Freundschaft einsetzen und die Menschen dazu inspirieren, aus ihren Herzen heraus zu handeln.
Jedes ihrer Musikstücke weckt Emotionen, weil Sie, wie sie einmal sagten, durch ihr Instrument singen. Was denken Sie oder was geht durch ihren Kopf, wenn Sie «singen»?
Die Verbindung zwischen Musik und Emotionen ist tiefgreifend. Menschen singen, wenn sie die Liebe in sich spüren, und sie singen, um Freude und Glück zu verbreiten. In meiner Musik, besonders in meiner Klarinette, versuche ich, wie ein Sänger, all meine Gefühle und Emotionen auszudrücken. Es ist, als würde ich durch mein Instrument atmen, und die Noten dienen als meine Worte, um meine Emotionen der Welt mitzuteilen.
Wie kam es, dass die Klarinette zu ihrem Herzensinstrument und ihrer «Stimme» geworden ist?
Die Klarinette und die Klezmermusik sind tief in meiner Familiengeschichte verwurzelt, und ich bin bereits die vierte Generation, die diesem wundervollen Instrument verpflichtet ist. Ich kam in eine Welt, die von mitreissenden wie melancholischen Klarinettenklängen erfüllt war, und mein Vater, selbst ein erfahrener Klarinettist, war mein erster Lehrer. Er hat mir nicht nur das Spielen beigebracht, sondern auch sein eigenes Instrument anvertraut, das für mich einen unschätzbaren Wert hat.
Als junger Musiker gingen Sie nach Israel und waren 18 Jahre lang Bassklarinettist beim Israel Philharmonic Orchestra. Das war Anfang der 1950er-Jahre, als Israel gerade gegründet worden war. Wie fühlte sich das Leben dort an?
Israel wurde für mich zur Heimat, seitdem ich vor rund 60 Jahren dorthin gekommen bin. Meine Kinder wuchsen dort auf, und mittlerweile wurden sogar meine Enkelkinder in Israel geboren. Es ist ein Ort, an dem ich nicht nur musikalisch, sondern auch als Teil meiner Familie und meines Lebens Wurzeln geschlagen habe.
Wie haben Sie vom aktuellen (Hamas-)Terror in Israel erfahren?
Ich befand mich in Deutschland, als diese schrecklichen Ereignisse stattfanden. Es ist eine Tragödie, die sich überall ereignet, wo unschuldige Menschen ihr Leben verlieren, und es zeigt das Versagen der Menschheit. Dabei denke ich nicht nur an die Israelis, sondern auch an die Araber, die genauso nach Frieden sehnen. Diese schmerzhaften Erfahrungen erinnern uns daran, wie wichtig es ist, gemeinsam für Frieden und Versöhnung einzutreten.
Was war Ihr erster Gedanke?
Es ist zutiefst beunruhigend, wenn man an all die Kinder und Jugendlichen denkt, die noch ein ganzes Leben vor sich haben, und an die Menschen, die ihre Familienangehörigen und Freunde verloren haben, ihre Häuser und ihre Existenz. Dies sind Tragödien, die das Herz zerreissen und uns daran erinnern, wie kostbar der Frieden ist. Als Künstler ist es mir eine Verpflichtung, durch meine Musik zur Hoffnung und zur Einheit beizutragen, und gemeinsam mit anderen für eine bessere Welt einzutreten.
Wenn Sie die Chance bekämen mit Benjamin Netanjahu zu sprechen, was würden Sie zu ihm sagen?
Ich würde jedem, der sich in solch einer Position befindet, nahelegen, bei all seinen Entscheidungen die Menschlichkeit nicht aus den Augen zu verlieren. Nächstenliebe ist das, was in solchen Zeiten von grösster Bedeutung ist. Selbstverständlich ist es notwendig, das Land zu verteidigen, doch gleichzeitig sollte immer der Wunsch bestehen, Wege zum Frieden zu finden.
Und was würden Sie Mahmut Abbas ans Herz legen?
Das Gleiche, was ich Netanjahu sagen würde.
Würden sie auch mit Vertretern der Hamas sprechen?
Es ist zweifellos eine herausfordernde Situation, mit Menschen zu kommunizieren, welche die Liebe aus ihren Herzen verbannt haben. In solchen Momenten könnte es sinnvoll sein, sie nach ihren spirituellen Überzeugungen zu fragen. In vielen Glaubenssystemen wird betont, dass Liebe, Frieden und Versöhnung zentrale Werte sind. Sie könnten dazu ermutigt werden, darüber nachzudenken, wie Hass und Krieg mit den Lehren ihres Glaubens in Einklang stehen.
Haben Sie angesichts des Kriegs ihr Musik-Programm umgestellt? Oder gehen Sie anderweitig während Ihrer Konzerte auf das Thema ein?
Ja, angesichts der aktuellen Ereignisse, insbesondere in dieser Zeit des Krieges, habe ich mein Musikprogramm selbstverständlich angepasst. Ich glaube, es ist entscheidend, dass Künstler in solchen Zeiten eine Botschaft des Friedens und der Freundschaft vermitteln. Während meiner Konzerte gehe ich auf das Thema ein, um meine Konzertbesucher dazu zu ermutigen, diese Botschaft in die Welt zu tragen. Musik kann eine mächtige Plattform sein, um Solidarität und Hoffnung zu verbreiten, und ich sehe es als meine Verantwortung, meinen Teil dazu beizutragen. Wir sollten uns alle bewusst sein, wie wichtig es ist, in schwierigen Zeiten positive Botschaften zu fördern und gemeinsam für den Frieden einzutreten.
Warum fällt es den Menschen so schwer, Frieden zu schaffen?
Es ist wahr, dass Egoismus und materialistisches Denken unsere Welt oft prägen. Wir haben tendenziell vergessen, dass das kollektive Glück in der Gesellschaft von höchster Bedeutung ist.
Was kann dabei helfen?
Jeder von uns trägt die Verantwortung, mit gutem Beispiel voranzugehen und Frieden in seinem eigenen Umfeld zu fördern. Als Künstler sehe ich meine Rolle darin, Menschen zu inspirieren und sie daran zu erinnern, dass sie die Fähigkeit haben, positive Veränderungen herbeizuführen, sei es in ihrem Alltag oder in der Gesellschaft als Ganzes.
Konzerte «Giora Feidmann – Klezmer and more»,
19.10., 20 Uhr, Stadtkirche Biel,
20.10., 20 Uhr, Clarakirche Basel,
22.10., 17 Uhr, Stadtkirche Thun,
24. 10., 20 Uhr, Gemeindesaal Buchs.
Alle weiteren Termine und Tickets