Dimitri Grünig, Illustrator und Erzähler. Foto: Studio Attila Janes

Gläubig und schwul

Illustrierte Erzählung von Dimitri Grünig

Schwul und spirituell: möglich – trotz des Zwiespalts. Dies ist die Essenz von Dimitri Grünigs eben erschienener illustrierter Erzählung Aber schwul bin ich immer noch. Mit der Befreiung aus dem (frei-)kirchlichen Milieu des Berner Oberlands findet der Protagonist einen neuen Zugang zum Glauben.

von Marcel Friedli-Schwarz / Illustrationen: Dimitri Grünig

Was werfe ich über Bord: meinen Glauben oder meine erotische Anziehung zu Männern – oder beides? Mit dieser Frage konfrontiert wird der Protagonist in Dimitri Grünigs illustrierter Erzählung Aber schwul bin ich immer noch.

Alle Versuche, die Gründe für die erotische Anziehung zu beleuchten und wegzubeten, verstärken die Spirale von schlechtem Gewissen und Schuld – der Protagonist bleibt schwul. Und wird einsam: verliert sein ganzes Umfeld, das mit dem (frei-)kirchlichen Milieu des Berner Oberlands verwoben ist. Der Entscheid für seine Identität als schwuler Mann bedeutet zudem, seine Lebensphilosophie neu zu erfinden. Und sich eine andere spirituelle Heimat zu suchen.


Wegbeten und therapieren

Selber hat Dimitri Grünig das Dilemma von gläubig und queer nicht erlebt. Bekannte haben ihn zu dieser Geschichte inspiriert. Denn im Berner Oberland, wo der der 28-Jährige aufgewachsen ist (vgl. Kasten), ist das freikirchliche Milieu verbreitet. Die Kombination von gläubig und bisexuell oder schwul führt selten zum Glück.

Steht jemand dazu, werden die angeblich Abtrünnigen wieder auf die vermeintlich richtige Strasse gebracht: mit Kursen, in denen nach biografischen Gründen für die erotische Anziehung geforscht wird: zum Beispiel fehlende Zuwendung des Vaters oder Dominanz der Mutter. Ergänzt von Versuchen, das Unerwünschte wegzutherapieren. Salopp gesagt spricht man dann von Umpolungstherapien. Oder im Fachjargon: Konversionstherapien. Sie sind im Kanton Bern verboten (vgl. Kasten 2).


Da sich Dimitri Grünig als nicht-spirituell bezeichnet, hat er sich zum Thema schlau gemacht: mit Betroffenen und einer Politikerin gesprochen. Drei Jahre Recherche stecken im Buch. Die Einsamkeit, die jedoch kennt er selber: wie es ist, sich im Berner Oberland anders als die anderen zu fühlen.

Diese Befindlichkeit spiegelt sich auch in den Illustrationen im Berner Oberland, wo Dimitri Grünig aufgewachsen ist. «Mit vierzehn hatte ich Angst vor homophoben Sprüchen. Mein Coming-out vier Jahre später war deshalb zwar nicht total easy», sagt er. «Aber doch recht glimpflich. Zum Glück nicht zusätzlich belastet von religiösen Dogmen. Auch aus Dankbarkeit dafür habe ich dieses Buch geschrieben und gezeichnet.»


Queer und christlich

Eine Mischung aus Comic und Roman ist Dimitri Grüngis Buch: eine illustrierte Erzählung. Damit hat er eine Nische gefunden – und rasch einen Verlag. Mit diesem hat er die Finanzierung aufgegleist.

Basis der Erzählung ist Dimitri Grünigs Bachelor-Arbeit an der Hochschule der Künste in Luzern. Er startet mit aktivistischem Anspruch. «Ich wollte aufzeigen, wie ungeheuerlich dieser religiöse Druck ist. Wie skandalös es ist, Menschen aus religiösen Überlegungen in den Abgrund zu drängen.» Am Anfang ist sein Blick religionskritisch gefärbt.

Während des Recherchierens löst sich der 28-Jährige davon. «Mir wurde bewusst, dass es Zwischentöne gibt. Dass es um Identität geht. Dass es zwar nicht für alle möglich ist, aber für einige doch: queer und christlich zu sein. Und wie sehr man sich damit auf einen ungewissen und schmerzhaften Weg begibt.»


Nicht schmälern und verharmlosen

Dass Dimitri Grünig in seinem Buch Grautöne skizziert, trägt ihm Kritik ein: den Vorwurf, die Täter:innen in Schutz zu nehmen – Umpolungstherapien zu verharmlosen. «Die Entscheidung, nicht nur eine Anklage zu erheben, habe ich aufgrund der Zwischentöne getroffen. Jedoch nicht, um das Leid der Betroffenen und die Verantwortung der Täter:innen zu schmälern.»

Sein Buch ist umstritten. «Für mich ist es ein gutes Zeichen, dass es zu Diskussionen anregt. Das zeigt, dass es ein Spannungsfeld öffnet!»

 

Illustrator und Autor
Der 28-jährige Dimitri Grünig wächst in Goldiwil mit Blick auf den Thunersee auf und studiert von 2018 bis 2021 Illustration an der Hochschule Luzern. Dort ist er nun als Assistent tätig. Zudem arbeitet er als freischaffender Künstler und Illustrator. Sein Schwerpunkt liegt auf gezeichneten Reportagen und visuellen Essays. Zuvor absolviert der gebürtige Berner Oberländer eine Berufslehre als Vergolder und Rahmer in Basel. Danach arbeitet er im Bereich Berufspädagogik, auf einem Bauernhof, in einer Metzgerei, als Gemüselieferant, als Möbelpacker und Verkäufer. Sein neues Werk befasst sich voraussichtlich mit Landwirtschaft. Dimitri Grünig lebt in Bern.
Am 7. März tritt Dimitri Grünig am Literaturfestival Literaare in Thun auf.
Vom 21. März bis 28. April sind Werke von ihm im Kornhausforum Bern zu sehen.
Am 25. Mai liest er (und zeigt Illustrationen via Dia) ab 20 Uhr in der evangelisch-methodistischen Kirche in Zürich (Regenbogenkirche).

Fragwürdige Therapien
In (frei-)kirchlichem Milieu gibt es Kurssettings und Programme, in denen nach vermeintlichen biografischen Ursachen für gleichgeschlechtliches Empfinden geforscht wird. Mit der Absicht, dies therapeutisch zu bearbeiten, damit es mit dem religiösen Dogma kompatibel ist. Dies bedeutet einen Machtmissbrauch, weil die Therapie nicht ergebnissoffen ist.  Solche Umpolungen (Konversionstherapien) sind in Deutschland verboten. In der Schweiz ist es von Kanton zu Kanton verschieden – in Bern untersagt. Die gesetzlichen Grundlagen, um das No-Go juristisch zu unterlegen, werden zurzeit in den Kantonen Basel, Genf und Waadt ausgearbeitet. In Bundesbern wird zurzeit ein schweizweites Verbot von Konversionstherapien geprüft. Auch wenn es zustande kommt, gibt es Schlupflöcher: Solche Therapien, Kurse und Programme laufen dann unter Beratung, mit kryptischen Titeln wie: Sexualität gestalten – Entscheidungen treffen.

Buch: Aber schwul bin ich immer noch. Illustrierte Erzählung, edition clandestin, 2023. 128 Seiten, 38 Franken.
Internet: www.dimitrigruenig.com

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