Karl Johannes Rechsteiner mit einer Mohrenfigur aus kolonialistischer Schokoladewerbung. Foto: Christina Burghagen

Darf ein Haus «Zum Mohrenkopf» heissen?

Nicht ganz so historisch, aber sehr rassistisch

Dürfen Häuser «Zum Mohrenkopf» oder «Zum Mohrentanz» heissen? Diese Frage wird in Zürich seit Monaten diskutiert. Nun hat eine ETH-Studie das Argument der geschichtlichen Bedeutsamkeit entkräftet. Als rassistisch müssten die Hausinschriften dennoch eingeschätzt werden, sagt der Berner Kirchensprecher und Kolonialismusexperte Karl Johannes Rechsteiner.

von Sarah Stutte

Erst einige Tage ist es her, dass das Baurekursgericht Zürich der Stadt verbot, die beiden Häusernamen «Zum Mohrenkopf» am Neumarkt 13 und «Zum Mohrentanz» an der Niederdorfstrasse 29 abzudecken. So wie das der Heimatschutz auch befand. Das Gericht argumentierte, dass die beiden Altstadthäuser geschichtlich bedeutsam seien und somit zum historischen Bild einer Limmatstadt gehörten, das es zu bewahren gelte.

Nun ist aber eine ETH-Studie veröffentlicht worden, die von einem Geschichtsprofessor der Uni Lausanne und einer Zürcher Historikerin verfasst wurde. In Auftrag gegeben hat sie das Präsidialdepartement der Stadt Zürich schon vor einer Weile. Aus der Studie geht hervor, dass die Inschriften erst im Laufe des 20. Jahrhunderts angebracht wurden. Als Stadtbildveränderung, die sich einer ländlich orientierten, pittoresken Sehnsucht verschrieb.

Kein Heiligenbezug

Ändert das nun etwas an der Debatte um den rassistischen Kontext der Häusernamen? Die Studie meint nein: «Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass der Begriff und die Symbolik in Zürich und darüber hinaus immer eine abwertende Funktion hatten», heisst es da.

Der Berner Kirchensprecher Karl Johannes Rechsteiner hat eine ähnliche Meinung. Neben seiner Arbeit für die Kommunikation der Katholischen Berner Kirche befasst er sich als Leiter der Stiftung «cooperaxion» auch mit der kolonialen Vergangenheit der Schweiz.

Für ihn ist klar, dass die Häuser schon seit mehreren hundert Jahren so heissen, wenn auch die Namen nicht unbedingt und überall negativ konnotiert waren. «Manche sagen, hier werde der Heilige Mauritius verehrt. Die Legende geht davon aus, dass er im Kloster Saint-Maurice VS begraben ist und auch einen Bezug zum Kloster St. Gallen hatte», erklärt Rechsteiner.

Würdigung des Weisen aus dem Morgenland

Der Heilige Mauritius sei damals jedoch nur in wenigen Gegenden in der Schweiz als Heiliger verehrt worden und in Städten wie Zürich oder Bern kaum ein Begriff gewesen. «Zudem wurde sein dunkler Teint erst viel später in öffentlichen Darstellungen gebräuchlich. Meist wurde er früher hellhäutig dargestellt», so der Stiftungsleiter und Kirchensprecher.

Die Abbildungen von Mauren – zu jener Zeit im deutschen Sprachraum mit «Mohr» übersetzt – standen vermutlich in einem anderen Zusammenhang. «In Bern sprechen die Indizien dafür, dass gewisse Darstellungen von dunkelhäutigen Menschen sich eher auf einen der drei legendären Heiligen Drei Könige aus dem Morgenland beziehen», sagt Rechsteiner. Sowohl Balthasar als auch Melchior wurden mit dunkler Hautfarbe dargestellt.

Inszenierter Rassismus

Der Berner Kolonial-Experte hält deshalb fest: «Da die Namen an den Zürcher Hauswänden erst im 20. Jahrhundert angebracht wurden, sind sie rassistisch einzuordnen.» Rechsteiner weist darauf hin, dass die Debatte um Häusernamen darauf hindeute, dass die koloniale Prägung der Schweiz noch weiter aufgearbeitet werden müsse.

«Mit auch in der Schweiz entwickelten Rassentheorien sollte ‹wissenschaftlich› die weisse Überlegenheit belegt werden, auch um den kolonialen Handel mit vielen Millionen aus Afrika zwangsverschleppten und versklavten Menschen zu rechtfertigen.» Zu diesem Zweck wurden gerade im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert Schädel vermessen und rassistische Merkmale definiert.

«Die Namen und Illustrationen an den Häusern in Zürich wurden somit in einer rassistisch aufgeladenen Zeit gestaltet», erläutert Rechsteiner. Gleichzeitig hätten beispielsweise sogenannte «Völkerschauen» stattgefunden: In diesen Menschenzoos konnten gegen ein Entgelt «primitive» Menschen aus fernen Ländern bestaunt werden. «Übrigens im Circus Knie bis ins Jahr 1964», so Rechsteiner.

Historischer Kontext wichtig

Besonders der Begriff «Mohrenkopf» und Bilder davon seien historisch aufgeladen, «weil dies ein Symbol aus den christlichen Kreuzzügen ist», erklärt der Berner Kirchensprecher. So galt der abgeschlagene Kopf eines heidnischen Gegners als Trophäe, mit der sich der hellhäutige Europäer nur allzu gerne schmückte.

Und wie geht es nun in Zürich weiter? Die Stadt will den Entscheid des Rekursgerichts auf jeden Fall weiterziehen und plädiert – gestützt auf die Studie – für eine Abdeckung der Häusernamen. Ob das Denkmal in seiner Ursprungsform belassen oder abgedeckt werde; ob mit Tafeln, Führungen oder Gegendenkmälern, welche die Geschichte ergänzen und erweitern – für Karl Johannes Rechsteiner ist die Herstellung eines historischen Kontexts entscheidend: «Einfach entfernen geht für mich nicht», sagt er.

Es sei doch spannend, die eigenen historischen Wurzeln herauszufinden. «Doch wir sind erst in den Anfängen, uns einzugestehen, dass wir auch Teil eines kolonialistischen Systems waren und uns dieser Vergangenheit stellen müssen», räumt Rechsteiner ein.

Koloniale Zeichen auch in Bern
Alte Ladenanschriften, die auf «Kolonialwaren» verweisen, sind in der Stadt Bern nicht mehr zu finden. Doch rassistische Zeichen finden sich auch in der Bundesstadt im öffentlichen Raum. Zu hitzigen Debatten führte in den letzten Jahren die Gestaltung des Gebäudes der Zunft zum Mohren in der Altstadt. Denn vor allem der Kopf an der Rathausgasse zeigt die stereotypischen Merkmale rassistischer Theorien mit flacher Stirn, platter Nase, wülstigen Lippen und weiblichem Schmuck – damit sollte die Überlegenheit der «Weissen» bewiesen werden. Mittlerweile hat die Zunft ihren Namen geändert und nennt sich künftig wie vor hunderten von Jahren «Zunft zur Schneidern». Diskussionen gab es auch rund um ein Wand-Alphabet im Wylerschulhaus, wo nach einem Wettbewerb nun eine neue Lösung gefunden wurde. Vielen Berner Orten wie etwa dem Rathaus sind ihre kolonialen Verwicklungen allerdings nicht anzusehen. Berner Kolonialgeschichten erzählt die Stiftung Cooperaxion auf seinen Stadtführungen oder online mit einem Stadtplan auf www.bern-kolonial.ch

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