«In Schweizer Discos mussten meine Schweizer Kolleg:innen immer übersetzen», erinnert sich Angelo Friello, der heute fliessend deutsch spricht. Foto: Ruben Sprich

«Hier kann ich meine Kultur leben»

60 Jahre Missione Cattolica di Lingua Italiana

Die Kirche der Missione Cattolica di Lingua Italiana (MCLI) wird 60 Jahre alt. Welche Bedeutung hat die Missione für die Menschen, die hierher kommen?

Interview: Sylvia Stam

«pfarrblatt»: Was bedeutet Ihnen die «Missione Cattolica di Lingua Italiana»?

Martina Videa (MV): Ich komme aus dem Tessin und bin seit zwölf Jahren in Bern. Für mich war es immer wichtig, den Gottesdienst in meiner Muttersprache zu feiern.

Rosanna Campanielli-Friello (RC): Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Bis zur dritten Klasse ging ich hier zur Schule, das ist Teil meiner Kindheit. Als die Schule aufgehoben wurde, besuchte ich hier weiterhin den Religionsunterricht. So bin ich der Missione treu geblieben. Unsere Kinder wurden hier getauft und haben hier Erstkommunion gefeiert.

Danilo Videa (DV): Ich bin hier geboren und habe in der Missione etwa zwei Jahre eine Art Kita besucht. Die Schule habe ich nicht mehr erlebt, aber den Religionsunterricht, die Pfadi und den Chor. Die Missione war damals ein Treffpunkt für die Jugendlichen. Für mich ist es selbstverständlich geworden, hierher zu kommen.

Angelo Friello (AF): Ich kam 1981 mit 16 Jahren in die Schweiz. Ich habe mir immer gesagt: Ich behalte meine Kultur und muss mich gleichzeitig anpassen. Hier konnte ich meine Kultur leben, Gottesdienste in meiner Sprache feiern, andere Freiwillige treffen. Es gab hier damals eine Disco, La Cave.
(Alle nicken lachend.)


Was wäre in einer Schweizer Disco anders gewesen?

AF: In Schweizer Discos mussten meine Schweizer Kolleg:innen immer übersetzen. Hier konnte ich die Sprache. Doch mir war es immer wichtig, auch mit Schweizer:innen zusammenzuarbeiten, sonst hätte ich nie Deutsch gelernt.

Für Sie, Frau Campanielli und Herr Videa, war die Sprache kein Problem.

RC: Als ich an die Schweizer Schule wechseln musste, konnte ich noch kein Wort Deutsch. Ein gewisser Rassismus war da schon spürbar. Es gab Schulkolleginnen, die sagten: «Du gehörst nicht zu uns, du bist ein ‹Tschingg›.» Das war etwa 1980. Ein Mädchen sagte: «Ich darf nicht mit dir spielen, weil du Italienerin bist.» Das hat mich schon geprägt.

DV: Ich bin 1982 geboren, doch die Akzeptanz war auch in meinen jungen Jahren noch nicht ganz da. Das Wort «Tschingg» hörte man immer noch. Im ÖV zum Beispiel bin ich immer für Ältere aufgestanden. Doch umgekehrt musste ich aufstehen, weil ein vielleicht Dreissigjähriger das Gefühl hatte, er habe mehr Rechte.

Erinnern Sie sich an konkrete Erlebnisse hier in der Missione?

DV: Schwester Agnese hat damals in der Kita zu uns geschaut. Ich erinnere mich noch gut, wie liebevoll sie mit uns umging.
(Frau Campanielli nickt). Als ich in der Jugendgruppe war, sind wir mit Padre Renato nach Venedig und Padua gereist. Heute bewundere ich seine Geduld
(lacht). Mit rund 50 14-Jährigen unterwegs zu sein, war für ihn überhaupt nicht einfach. Ich glaube, er hat damals vier Tage kein Auge zugetan.


Sie sprechen von kultureller Zugehörigkeit. Wie wichtig ist es Ihnen, hier in die Messe zu gehen?

RC: Ich komme regelmässig hierher, weil ich ein gläubiger Mensch bin. Es ist mir wichtig, den Glauben auch meinen Kindern weiterzugeben.

AF: Ich komme oft in die Missione Cattolica, aber ich gehe auch in Schweizer Gottesdienste und bin Ritter des Heiligen Grabes von Jerusalem. Dort sind die Gottesdienste auf Deutsch.

Warum kommen Sie hierher und gehen nicht in die entsprechende deutschsprachige Pfarrei, zu der Sie gehören?

RC: Wenn ich in eine deutschsprachige Messe gehe, habe ich Mühe, auf Deutsch zu antworten. Ich kenne das Vaterunser und den Ablauf der Messe nur auf Italienisch. Es geht um die Sprache, um nichts anderes.

DV: Etwas Kulturelles hat es schon. Man kennt sich, man sieht sich nach der Messe noch eine Viertelstunde. Früher, als es das Restaurant noch gab, nahm man einen Apéro. Die Missione ist eine Gemeinschaft. Wenn man ein paar Mal gekommen ist, kennt man die meisten.

Wo sehen Sie die Chancen von anderssprachigen Missionen?

DV: Sie sind ein Magnet für Leute, die nicht Deutsch können. Gäbe es diese Missionen nicht, würden viele vielleicht gar nicht mehr in die Messe gehen. Das ist eine Möglichkeit für die Kirche, die Leute zu behalten und zu animieren, in die Messe zu kommen. Und warum nicht? Die Messe ist die Messe, aber jede Kultur hat ihre Vielfalt. Es ist einfach eine andere Farbe.


Braucht es die Missione in 30 Jahren noch?

MV: Es gibt hier immer weniger Erstkommunikant:innen und Firmlinge. Wahrscheinlich ist einigen die Vorbereitung zu intensiv, zu lange oder die Zeit passt nicht. Dann schicken sie ihre Kinder in die Schweizer Pfarrei, wo es etwas legerer ist. Man muss sich schon überlegen, warum immer weniger kommen.

DV: Ich glaube schon, dass es sie weiterhin braucht. Als wir vor fünf Jahren den Ehevorbereitungskurs in der Missione gemacht haben, waren von den rund zwölf Paaren nur zwei aus Bern. Alle anderen waren italienische Studierte, die nach der Uni eine Stelle gefunden haben. Sie konnten perfekt Englisch, aber kein Wort Deutsch. Wenn der Bedarf nach gewissen Fachkräften da ist, dann wird es auch in zwanzig Jahren noch Leute geben, die nur für ein Projekt in die Schweiz kommen. Das sind keine Strenggläubigen, sie würden nicht 100 km fahren, um in eine Messe zu gehen. Für sie wird es die Missione weiterhin brauchen.

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