Ein Mitarbeiter des Ukrainischen Roten Kreuzes führt Stadtbewohner:innen zu Bussen, die Sumy, Ukraine, über einen sicheren Fluchtkorridor verlassen werden. Foto: IKRK

«Humanitäre Hilfe muss ermöglicht werden»

Wie das IKRK in der Ukraine hilft

Der Krieg in der Ukraine trifft die Zivilbevölkerung hart. Das Internationale Rote Kreuz zeigt sich tief besorgt über das Ausmass der Zerstörung in den Städten und das Schicksal der Vertriebenen und fordert die Konfliktparteien auf, sichere Fluchtkorridore zu ermöglichen.

Von Antonio Suàrez

«Das Ausmass der durch die Gewaltverschärfung verursachten Vertreibung in der Ukraine könnte alles übertreffen, was Europa seit vielen Jahren erlebt hat. Aufgrund der Eskalation des Konflikts haben Millionen von Menschen ihre Heimat verlassen.» So schildert Christoph Hanger die Lage vor Ort. Er ist Medienverantwortlicher des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK) in Genf und mit der Leitung von Spezialprojekten betraut. «Das IKRK ist besorgt über das Schicksal der Menschen, die inmitten der anhaltenden Kämpfe fliehen. Wir hören und sehen Berichte über lange Auto- und Menschenschlangen an den Grenzen und sind besorgt über die Auswirkungen auf die Nachbarländer.» Hanger verweist insbesondere auf die Binnenflüchtlinge, denen Schutz und Zugang zu einem sicheren Ort verschafft werden müsse.

Beim IKRK treffen stündlich Meldungen ein. «Wir erhalten eine Flut von Anrufen von Menschen, die verzweifelt nach Sicherheit suchen», bestätigt Hanger. «Die Menschen halten sich im Untergrund auf, oft stundenlang, und können aus Angst vor Beschuss nicht nach draussen gehen.» Vielen Menschen fehle es an einer funktionierenden Wasser- und Stromversorgung. Lebensmittel und lebensnotwendige Bedarfsgüter seien schwer zu finden, so Hanger weiter. «Neben der Tötung und Verletzung von Zivilist:innen werden durch den Einsatz von Explosionswaffen grossflächiger Wirkung wichtige Infrastrukturen zerstört, sodass die Zivilbevölkerung kaum Zugang zu lebenswichtigen Dienstleistungen wie Wasser und Strom, sanitäre Einrichtungen und medizinische Versorgung hat», so Hanger. «Infrastrukturen sind komplexe Systeme, die voneinander abhängig sind. Wenn ein System ausfällt, könne dies zu vielen weiteren Systemausfällen führen», erklärt der Pressesprecher, der in diesem Zusammenhang insbesondere auf das erhöhte Risiko von Erkrankungen wegen defekter Leitungen und Verteilstationen hinweist. Dadurch könne sich das Leid der Bevölkerung noch zusätzlich verschlimmern.

Emotionale und mentale Kosten

Hanger erhält zahlreiche Meldungen über Verletzte und Verwundete. Und ihn erreichen auch Berichte von Menschen, die sich in grosser seelischer Not befänden und auf psychologische Unterstützung angewiesen seien. Während die Welt vor den Augen der ortsansässigen Familien durch den Krieg im urbanen Umfeld gewaltsam zusammenbreche, dürften die emotionalen und mentalen Kosten des kriegerischen Konflikts nicht ausser Acht gelassen werden, mahnt er. Er befürchtet, dass die Intensität und räumliche Nähe des Häuserkampfs bei den Überlebenden dauerhafte psychologische Narben hinterlassen werden.


Am dringendsten benötigten die Menschen «Nahrungsmittel, sauberes Trinkwasser, medizinische Grundversorgung und Baumaterial für Behelfsunterkünfte», sagt Hanger. In den letzten Wochen hat das IKRK die Hilfe stetig ausgebaut. So gelangten medizinische Hilfsgüter, Nahrung, Wasser und Hygieneartikel in die Hauptstadt Kiew, in die Hafenstadt Odessa und bis in die Regionen von Donezk und Luhansk. Bis vorvergangene Woche kamen gemäss Aussagen des IKRK-Präsidenten Peter Maurer im öffentlichen Rundfunk bereits rund 200 Tonnen Hilfsgüter im Land an. Ende März wurden nach IKRK-Angaben weitere sechs Tonnen Nahrungsmittel und Hilfsgüter ins heftig umkämpfte Charkiw im Nordosten des Landes gebracht. Gleichzeitig schickte das IKRK über 140 zusätzliche Hilfskräfte, darunter medizinisches Personal, Ingenieur:innen und Logistiker:innen. Auch Spezialist:innen zur Entschärfung von Waffen und Munition sowie weitere Notfallteams wurden entsandt.

Ältere Menschen und Behinderte verschonen

«Ein dauerhafter Zugang zu humanitärer Hilfe muss ermöglicht werden. Das bedeutet, dass ältere Menschen, Behinderte und jene, die nicht fliehen können, von Angriffen verschont bleiben müssen und die Zivilbevölkerung ausserhalb der sogenannten Korridore weiterhin geschützt wird. Die Vertriebenen müssen eine angemessene Unterkunft, Hygiene, Gesundheit, Sicherheit und Ernährung erhalten. Familien dürfen nicht getrennt werden», fasst Christopher Hanger die Forderungen seiner Organisation zusammen.

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