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Humor im Spital

Trauer, Angst und Wut sind im Spital OK – Humor auch

Vorgestern war für die Patientin kein guter Tag. Sie war traurig und hatte Angst vor der Zukunft. Nach einem schweren Verkehrsunfall, bei dem sie ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten hatte, musste man ihr vorübergehend einen Teil der Schädeldecke abnehmen, damit das Gehirn genug Platz zum Anschwellen hatte. Inzwischen ist die Schwellung abgeklungen, der Schädel wieder aufgesetzt und die Haut darüber vernäht.

Als ich die Patientin heute besuche, zeigt sie mir ihre schelmische Seite. Sie sagt: «Ein Gutes hat das Ganze: Ich kann mir die teure Anti-Falten-Salbe sparen.» Als ich nicht gleich verstehe, erklärt sie: «Nun, meine ganze Gesichtshaut ist jetzt wieder straffer, weil die Ärzte sie bei der Operation nach oben ziehen und zusammennähen mussten. Ich sehe jetzt 20 Jahre jünger aus! Und meine Haare werden die Narbe bald überwachsen haben.» Sie lacht, obwohl ihr das Lachen wehtut – wie alle Bewegungen im Gesicht. Ein Patient mit einem enormen Kör- perumfang hatte bei einem Sturz aus grosser Höhe Glück im Unglück. Er war mit einigen Knochenbrüchen und dem Schrecken davongekommen. Sein Kommentar: «Da sehen Sie mal, dass es auch Vorteile hat, wenn man dick ist: Wenn ich nicht so viel Polsterung hätte, wäre ich jetzt vielleicht tot.»

Ich habe grossen Respekt vor diesen Menschen und lerne viel darüber, wie man mit Belastungen umgehen kann. Ihr Humor ermöglicht es ihnen, die eigene Situation nicht zu verdrängen, sondern sie anzusprechen und zu thematisieren: «Ja, ich bin beeinträchtigt, ich bin auf Hilfe angewiesen, ich kann nicht mehr wie früher. Ich kann nicht einmal alleine duschen oder zur Toilette gehen.» Doch gleichzeitig gewinnen sie dadurch Distanz zu ihrer Situation und bleiben souverän. So loten sie Freiräume aus, die trotz der Beschränkung bestehen bleiben, und schöpfen sie aus.

Wichtig dabei ist, dass der Humor vom Patienten her kommen muss. Als Gesprächspartner darf ich mich auf dieses Feld erst dann begeben, wenn es vom Patienten eröffnet worden ist. Ich darf dem Rollstuhlfahrer keinen Rollstuhlfahrerwitz erzählen. Aber wenn er es tut – wunderbar, ein Geschenk.

Trauer, Angst, Wut von vorgestern sind okay, und sie dürfen morgen auch wieder sein. Der Humor von heute aber auch. Beides ist okay.

Hubert Kössler


Lektüretipp:

Jupe Jaegler, Reto Meienberg: Müssen Behinderte immer auffallen? Fragen und Cartoons. Cosmos Verlag, 2008

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