Esther Biedermann im Mädcheninternat St. Martin, Tansania. Foto: zVg

«Ich bin am richtigen Ort»

Nach der Pensionierung ein Volontariat in Tansania

Esther Biedermann (65) aus Basel macht ein sechsmonatiges Volontariat in Tansania. Seit letztem September engagiert sich die pensionierte Pflegefachfrau und zweifache Grossmutter im Kinderheim und der Krankenstation von Mbingu.

Interview: Anouk Hiedl

«pfarrblatt»: Wie sind Sie – frisch pensioniert – auf die Idee gekommen, ein Volontariat zu machen?

Esther Biedermann:
Schon nach meinem Lehrabschluss wollte ich einen solchen Freiwilligeneinsatz machen. Wie so oft im Leben ist es anders gekommen. Meine Familie und die Freiwilligenarbeit in der Pfarrei und im Katholischen Frauenbund haben mich mit Freude erfüllt. Vor etwa zwei Jahren las ich in der Zeitschrift «Weltweit» einen interessanten Beitrag über das Volontariatsprogramm «Voyage-Partage» – da war mein ursprünglicher Traum plötzlich wieder sehr präsent. Nach ein paar Nächten stand fest: jetzt oder nie. Ein mehrmonatiges Volontariat war genau, was ich wollte. Nach einem Gespräch mit der Geschäftsleiterin Madlen Portmann konnte das Abenteuer beginnen.

Warum haben sie sich für Tansania entschieden?

Ich wollte in ein englischsprachiges, warmes Land. Zuerst kam der Vorschlag für ein Volontariat im Norden Ugandas. Dieser wurde jedoch kurz darauf wegen Unruhen vor den anstehenden Präsidentenwahlen wieder abgesagt. Einige Wochen später kam die Anfrage für Tansania, und ich begann, mich vorzubereiten. Nach der weltweiten Ausbreitung des Coronavirus wollte ich beobachten, wie sich die Lage entwickelt. Nach der doppelten Impfung flog ich dann am 2. September 2021 in dieses mir neue, unbekannte Land.


Was tun Sie vor Ort?

Ich stehe vor 06.00 auf und beginne mit den Mamas (Hausmütter) die Arbeit. Neben Putzarbeiten helfe ich beim Duschen, Anziehen, Frühstücken, «Schöppele» und Wäsche aufhängen, überall da, wo es nötig ist. Um 08.30 gehe ich ins Regionalspital, helfe oder bin bei Sr. Flavia am Empfang und im Archiv tätig. Hier macht man das meiste noch von Hand, ohne PC. Alles ist sehr einfach, doch mit viel Herz und Freude verbunden. Nachmittags betreue ich die Kinder und spiele mit ihnen, manchmal unternehmen wir etwas mit den Grösseren. Am Abend bleibe ich so lange, wie ich gebraucht werde. Oft sind es sehr lange Tage. Sr. Sapientia ist meine Ansprechperson. Ich darf sie oder eine andere Mitschwester auf den Markt nach Ifakara und an kirchliche und schulische Veranstaltungen der Kinder begleiten. Da wir die Sonntagsmesse im Kloster besuchen, kennen und grüssen mich, die Mzungu (Weisse), alle von Weitem, wenn ich vorbeifahre.

Wie erleben sie das Zusammenleben mit der Ordensgemeinschaft?

Die Schwestern sind sehr herzlich, fröhlich, offen und verständnisvoll. Eine Klosterfrau leitet das Regionalspital, einige sind in anderen Funktionen dort tätig. Im Kinderheim leitet Sr. Sapientia das Haus, und zwei Mitschwestern haben weitere Aufgaben. Die meisten Nonnen sprechen auch Englisch, dadurch ist der Kontakt sehr gut.

Wie haben sie sich auf das Volontariat vorbereitet?

Als erstes bekam ich einen Reiseführer und gute schriftliche Unterlagen von «Voyage-Partage». Ich belegte einen Onlinekurs in der Landessprache Kisuaheli und frischte meine Englischkenntnisse auf. Wichtig waren auch die beiden Vorbereitungswochenenden und die Gespräche mit einer ehemaligen Volontärin, die auch in Tansania war. Auch der Abschlussgottesdienst mit Reisesegen und -medaillon war ein starker, prägender Moment.


Inwiefern stimmt die Lebensrealität vor Ort mit Ihren Erwartungen überein?

Ich nahm an, dass alles weitläufig und einfach sein würde. Schon die Anreise dauerte gut zwölf Stunden, die letzten drei auf einer Naturstrasse. Nicht bewusst war mir, dass wir hier fast alles – waschen, kochen, nähen, reinigen, pflanzen – ohne technische Hilfsmittel erledigen. Für die Menschen hier ist das selbstverständlich, mitsamt einiger freundlicher Worte. Wie wenig es doch fürs tägliche Leben braucht! Im ganzen Gebiet gibt es keine ARA und keine Abfallentsorgung. Stattdessen haben wir eine Sickergrube und eine Kehrichtgrube, die ab und zu angezündet wird. Es gibt keine Restaurants, Kinos oder Konzertlokale, doch ich vermisse hier nichts – die Gemeinschaft, die Weite die Natur, die Sonnenauf- und -untergänge sind einmalig.

Wo stossen Sie an Grenzen?

Mit der Sprache. Die Mamas, Papas (Männer, die vor Ort arbeiten und zu Abend essen und so viel Zeit mit den Kindern verbringen) und auch die Arbeiter reden nur Kisuaheli. Im Spital sprechen die Leute mit höherem Berufsabschluss sehr gut Englisch. Auch mit dem öffentlichen Verkehr funktioniert es nicht so gut, ich fühle mich unsicher. Vieles wird nach «Mama Africa» geregelt, und ich akzeptiere es.

Was hat Sie geprägt?

Wie Kinder über Sprachgrenzen hinweg lieben können. In der zweiten Woche hatte ich ein Tief, ich konnte mich nicht gut verständigen. Ich lernte draussen vor meinem Zimmer Wörtli, da kam ein etwa 2,5-jähriger Bub, legte sein Spielzeug vor mich hin, sagte «Bibi Esta» und umarmte mich. Als er meine Hand nahm, und er strahlend mit mir zu den anderen Kindern ging, wusste ich: Ich bin am richtigen Ort.

 

Im Volontariatsprogramm «Voyage-Partage» engagieren sich Menschen während vier bis zwölf Monaten in einem kirchlichen Projekt in Osteuropa, Asien, Afrika oder Südamerika. Dabei erhalten sie Einblick in das einfache Leben der Bevölkerung und in die Arbeit der lokalen Ordensgemeinschaft. So werden Leben und Glauben miteinander geteilt, im Sinne von Solidarität, Begegnung und gegenseitigem Lernen. «Voyage-Partage» legt grossen Wert auf eine gute Vorbereitung der Volontär:innen und vermittelt individuell abgestimmte Projekte. Esther Biedermann zum Beispiel hat sich im Waisenhaus «Mbingu Village» engagiert, das vom Verein Kinderdorf Mbingu unterstützt wird.

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