Rutger Bregman (links): «Mich interessieren aber nicht die spezifischen Dogmen, sondern was der Glaube bewirkt.» Screenshot SRF

«Ich rate, jeden Sonntag in die Kirche zu gehen …»

Was Rutger Bregman jungen Revolutionär:innen rät

Der Mensch sei «im Grunde gut». Das sagt der niederländische Historiker Rutger Bregman (34) im Gespräch mit Barbara Bleisch in der SRF-Sendung Sternstunde Philosophie. Darin kommt er auch auf die Kirche zu sprechen.

Es gibt pausenlos Nachrichten über Krieg, Gewalt, Folter, Hunger und Tod. Die Geschichte der Menschheit wird oft als Aneinanderreihung von Grausamkeiten dargestellt. Der Mensch ist also, so macht es den Eindruck, an sich böse und hat ein egoistisches Wesen.

Genau das Gegenteil sei der Fall, sagt der niederländische Historiker Rutger Bregman. In seinem Bestseller «Im Grunde gut: Eine neue Geschichte der Menschheit» argumentiert er mit historischen Beispielen und wissenschaftlichen Belegen dafür, dass die Menschen gute Wesen sind, die einander selbstlos helfen. Es liege schlicht und einfach, so Bregman, in ihrer Natur; man müsse sie nur lassen.

Im Gespräch mit der Philosophin Barbara Bleisch in der SRF-Fernsehsendung Sternstunde Philosophie erläuterte Bregman unlängst seine Argumente. An einer Stelle des Gesprächs kommt Barbara Bleisch auf den Klimawandel und Bregmans Vaterschaft zu sprechen. Lesen Sie hier diesen Dialog:


Barbara Bleisch: Sie wurden vor kurzem Vater. Es gibt viele junge Intellektuelle, die mittlerweile sagen, Kinder bekommen, das geht gar nicht mehr. Zum einen, weil das ein Beitrag ist zum Klimawandel, das ist ein extremer Beitrag zum CO2-Ausstoss jeder Person, die Mutter oder Vater wird. Zum anderen aber auch, weil wir diesen jungen Menschen diese Zukunft nicht zumuten können. Was entgegnen Sie, ist es bei Ihnen doch die Hoffnung, die obsiegt?

Rutger Bregman: Ehrlich gesagt halte ich sie für Idioten, deshalb keine Kinder zu wollen. Wo kommen wir hin, wenn darin das Ideal besteht? Ich sehe die Welt anders. Psychologen arbeiten mit dem Konzept eines Risikoportfolios, wonach man nur eine bestimmte Anzahl von Risiken im Leben eingehen kann. Ich fürchte, dass junge Leute heute ein sehr riskantes Privatleben auf Instagram und Tinder haben, aber kein sehr aufregendes öffentliches Leben. Mein Rat wäre, das umzudrehen. Jungen Revolutionären, die mich besuchen, rate ich, jung zu heiraten, jeden Sonntag in die Kirche zu gehen und Kinder zu haben. Danach kann man so radikal sein, wie man will. (lacht)

Barbara Bleisch: Was war das jetzt gerade mit dem in die Kirche gehen? Ist das ernst zu nehmen?

Rutger Bregman: Nun, für mich wäre es zu langweilig (Gelächter). Aber da bleibt doch ein Rest von – wie soll ich sagen – gewisse Dinge fehlen einem, nicht wahr? Der Glaube lehrt uns einiges. Mich interessieren aber nicht die spezifischen Dogmen, sondern was er bewirkt. Wir versteifen uns oft auf den Wahrheitsgehalt bestimmter Inhalte: Starb Jesus wirklich am Kreuz für unsere Sünden? Das ist völlig uninteressant. Mich interessiert vielmehr, was die Menschen mit ihrem Glauben machen. Ich habe gerade eine Biografie über William Wilberforce, den grossen britischen Abolitionisten, gelesen. Er war ein sehr gläubiger Christ, was für ihn bedeutete, keine Sekunde seines Lebens zu vergeuden, sondern unablässig gegen die Sklaverei zu kämpfen. So etwas beeindruckt mich sehr.

kr (Transkript aus einem Gespräch Sternstunde Philosophie, SRF, vom 17.04.2022)
 

Buchhinweise:
Im Grunde gut. Eine neue Geschichte der Menschheit. Rowohlt Taschenbuch 2021, 480 Seiten, Fr. 24.90
Wenn das Wasser kommt. Ein Essay. Rowohlt Taschenbuch 2021, 64 Seiten, Fr.13.90

 Das vollständige Gespräch zwischen Barbara Bleisch und Rutger Bregman:

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