Lavanya Yogeswaran betet als gläubige Hindufrau zu ihren Göttern. Friedfertigkeit «Ahimsa» ist für sie ein zentrales Anliegen ihrer Religion.
von Rita Jost
Rund um den Hindutempel im Berner Haus der Religionen lärmt der Alltag: Strasse, Bahn und Supermarktbetrieb. Drinnen hinter den hohen Glasfenstern tut sich eine andere Welt auf mit Räucherstäbchenduft, gedämpftem Licht, fantasievollen Schreinen und der Götterwelt.
Lavanya Yogeswaran, eine junge Medizinstudentin, erklärt einer Schweizer Kollegin, warum auf dem Wandbild der Gott Shiva in den Schneebergen abgebildet ist, umringt von seinen Söhnen Murugan und Ganesha und seiner Frau Parvati. Und sie verrät, dass Krishna zu ihren Lieblingsgöttern gehöre, «weil er verspielt ist, ein Hirtenbub, der Querflöte spielt».
Wie alle Hindugötter ist auch Krishna nicht perfekt. Aber er lernt ständig. Und Hindus lernen aus den Fehlern der Götter. Das Wissen über ihre Religion hat Lavanya von ihrer Mutter und aus dem tamilischen Religionsunterricht. Und sie hat die Geschichten auch getanzt. Deshalb seien ihr alle Gottheiten vertraut, erzählt die junge Frau später bei einem Glas Tee. «Auch ich bin nicht perfekt, aber ich versuche jeden Tag mit Liebe zu leben.» «Ahimsa», gewaltlos sein zu Menschen und Tieren, ist ihr ein wichtiges Anliegen.
Lavanya ist eine moderne Frau. In den Ohrläppchen steckt Goldschmuck, in der Nase ein feiner Ring. Sie trägt eine schwarze Hose und einen locker umgelegten, bunten Schal. Sie sieht aus und spricht wie viele andere Gleichaltrige in diesem Land. Nur die dunkle Haut, die fast schwarzen Augen und Haare verraten ihre Wurzeln in Sri Lanka. Geboren und aufgewachsen ist Lavanya in Münsterlingen im Kanton Thurgau. Seit fünf Jahren lebt sie in Bern, wo sie im neunten Semester Medizin studiert.
Spirituelle Energie
Wie lebt und praktiziert sie «Ahimsa», das «Liebesgebot» der Hindus, im Alltag? Lavanya lächelt: «Sicher bin ich nicht immer nur friedfertig. Aber ich bemühe mich täglich.» Hindus sollten ja zum Beispiel kein Fleisch und keine Eier essen, fährt sie fort, sie lebe aber nur drei Tage in der Woche total «vegi». «An den Tagen, an denen ich einen Tempel besuche, esse ich sicher kein Fleisch.» So auch an Dienstagen, dem Tag von Sarasvati, der Göttin der Lernenden.
Lavanya traute sich anfänglich ein Medizinstudium nicht zu. Während einer Reise durch Sri Lanka vertraute sie ihren Berufswunsch dem Gott Murugan an, der für Mut und Enthusiasmus steht. «Kurz danach habe ich dann tatsächlich die Aufnahmeprüfung bestanden», erzählt sie. Glaubt die Wissenschaftlerin an eine spirituelle Macht? Ja, das möge vielleicht ungewohnt tönen, aber für sie sei das ganz selbstverständlich. «Im Spital begegne ich immer wieder Patienten und Patientinnen, die nicht nur dank der Medizin geheilt werden. Viele schöpfen auch Kraft aus liebevollen Beziehungen und Ritualen.»
Berührende Worte
Lavanya schreibt in ihrer Freizeit Gedichte, Texte über die Natur und über die Liebe zu den Menschen. Sie glaubt an die Macht des Wortes im Kampf gegen Ungerechtigkeit, Krieg und Gewalt. Auch sie werde immer wieder von Texten berührt und zum Nachdenken gebracht. Auch wenn der Hinduismus eher eine ritualmächtige Religion sei, habe das Wort eine Bedeutung. «In Gebeten und Gesängen etwa werden die Tempelbesucherinnen und -besucher immer wieder mit Worten aufgefordert, das Richtige zu tun.»
Doch was ist mit der Gewalt unter Hindus in Sri Lanka und Indien? Lavanya schüttelt den Kopf, dahinter lägen kulturelle Probleme, nicht religiöse. «Fehlende Bildung, ungenügende Aufklärung, Unterdrückung der Frauen: Da braucht es politische Lösungen», ist Lavanya überzeugt. An der Religion liege es nicht. «Der Hinduismus ist eine gewaltlose Religion.»
Erstpublikation in der «zVisite»
Lavanya Yogeswaran (23) glaubt an die Macht des Wortes. Die Medizinstudentin schreibt Gedichte und besucht regelmässig den Hindutempel. Ihre Eltern kamen in den 90er-Jahren aus Sri Lanka in die Ostschweiz. Lavanya Yogeswaran lebt heute in Bern.