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Immer sind es die Menschen

Kolumne aus der Inselspitalseelsorge

Ein Haushaltsunfall wirft eine ältere Dame aus der Bahn. Die sonst agile, lebensfrohe und selbständige Frau ist hilflos ans Spitalbett gefesselt. Die Perspektiven sind unklar bis bedrohlich. Besuch bekommt sie nie, brauche sie auch nicht, sie sei es gewohnt alleine zurecht zu kommen. Der Ehemann ist schon lange verstorben, die Tochter lebt in Kanada und der Sohn in einer fernen Stadt hat kaum Zeit.

Im Verlauf der Wochen wirkt die Patientin zunehmend untröstlicher, ihre Welt wird schwarz und schwärzer. Mir kommt die Geschichte von der weisen Frau mit den Bohnen in den Sinn. Diese legt für jedes gute Erlebnis am Tag eine Bohne aus ihrer linken in die rechte Tasche. Am Abend lässt sie die rechten Bohnen, also die schönen Dinge des Tages, Revue passieren. Nicht jeder Tag ist gut, und die Patientin hat momentan ganz sicher keine guten Tage, dennoch: an jedem Tag gibt es etwas Gutes, so die Botschaft. Wir machen ab, dass die Patientin täglich drei gute Dinge sammelt, seien sie auch noch so unscheinbar und mir beim nächsten Besuch davon erzählt. Anfangs fällt es ihr schwer, etwas Gutes zu finden, aber mit jedem Mal wird es leichter. Da ist die Sonne, die in ihr Bett scheint, das schmerzfreie Mittagsschläfchen oder die Physiotherapeutin, die sie mit einem Scherz zum Lächeln bringt.

Heute ist ein ganz guter Tag begrüsst mich die alte Dame strahlend, als ich an einem Abend noch schnell bei ihr vorbeischaue. Sie erzählt, dass sie heute einen Brief von einer guten Freundin bekommen hat, die sie am Wochenende besuchen käme. Dann hat ihre Tochter aus Übersee angerufen und sie haben ein ganz wunderbar langes Gespräch geführt. Am Nachmittag ist überraschend ihr Sohn gekommen. Sie haben zusammen Kaffee getrunken, viel geredet und gelacht. Er hat Ferien und wird sie übermorgen wieder besuchen. «Und jetzt kommen auch noch Sie zu mir! » So glücklich habe ich die Patientin noch nie gesehen. Mir kommt das Gedicht von Rose Ausländer in den Sinn:

Immer sind es die Menschen
Du weisst es
Ihr Herz
ist ein kleiner Stern
der die Erde beleuchtet

Wir lassen die «Zeit der Bohnen» Revue passieren. Tatsächlich waren es vor allem die Begegnungen mit anderen Menschen, die in ihr momentanes Dunkel Licht gebracht haben.

Monika Mandt, kath. Seelsorgerin

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