In der Krise sprechen die Bäume poetisch

Gedanken aus der Spitalseelsorge. Eine Kolumne der Seelsorger*innen am Inselspital Bern. Von Thomas Wild.

 

Jahrelange Tätigkeiten in Gemeindepfarramt, Paarberatung und Klinikseelsorge lassen tief blicken. Die Arbeit der Seelsorge wird mit Schicksalsschlägen, mit verstörenden Dramen, aber auch mit wundersamen und berührenden Geschichten konfrontiert. Die Reflexion dieser Erfahrungen ist an sich wertvoll und hilfreich. Die schreibende Vertiefung kann etwas davon vermitteln. Sie kann auch eine Verarbeitung sein, so wie Betroffene manchmal im Niederschreiben einen Schritt der Distanzierung erleben – und gleichzeitig wieder mehr zu sich selber kommen.

Einige finden in der Dunkelheit der Nacht einen Stern am Poetenhimmel – ein Gedicht oder ein Gebet, an dem sie sich wie an einem Geländer festhalten können. «Ein Gedicht trifft mich dort, wo ich nicht schon bin», sagt Sandro Zanetti. Ein Wort, eine Zeile kann mich in der Krise völlig neu berühren – wie ein Baum, an dem wir jahrelang vorübergehen, ohne seine gewaltige Schönheit, seine Macht der Ruhe oder seine Zartheit der Poesie zu beachten. Andere beginnen selber zu dichten und fassen ihre komplexen Erfahrungen in schlichte Bildworte. Der irakische Schriftsteller Usama Al Shahmani verarbeitet in seinem Roman «In der Fremde sprechen die Bäume arabisch » eigene Erfahrungen der Migration. Er musste seine Heimat 2002 wegen eines regimekritischen Theaterstücks überstürzt verlassen und fand sich schliesslich in einer Asylunterkunft in der Schweiz wieder. Der Sprache nicht mächtig, verloren und orientierungslos.

Häufig werden wir gefragt, was wir genau tun, wenn wir Seelsorge «betreiben ». Die Fragen weisen auf das Interesse an der Seelsorge hin. Sie zeigen aber auch, dass die Kenntnisse der Seelsorgetätigkeit oft gering sind. Es ist schwierig, Seelsorge definieren zu wollen, ohne Klischees zu verfallen. Am besten erzählen wir Geschichten und Episoden, so wie hier im «pfarrblatt». Manchmal geben Geschichten so viel her, dass die vorgegebenen 2300 Anschläge nirgends hinreichen. Erst recht nicht, wenn die Geschichten auch noch reflektiert werden wollen. Im angezeigten Buch erfahren Sie mehr.

Pfarrer Thomas Wild, ref. Co-Leiter Seelsorge Inselspital



Thomas Wild «Seelsorge in Krisen.
Zur Eigentümlichkeit pastoralpsychologischer Praxis»
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2021, 270 S., kartoniert
Mit Illustrationen von Jonas Raeber
ISBN 978-3-525-62452-4
Buchhandlung Voirol: Fr. 45.95
Auch als E-Book erhältlich!


 

 

 

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