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Ist Gott vielleicht doch anwesend?

Gedanken aus der Inselspitalseelsorge

«Ich bin doch noch so jung für ins Pflegeheim», sagt die Patientin betrübt. Die Frau ist Ende fünfzig und sichtlich von ihrer Krankheit gezeichnet. Eine Rückkehr nach Hause ist nicht mehr möglich.

«Ich möchte wieder mehr Boden unter den Füssen bekommen», formuliert die Frau ihr Anliegen und fügt an: «Ich fühle mich so verlassen. Das Einzige, was ich mache: Ich warte auf Menschen.»

«Was ist denn da falsch daran?», will ich wissen.

«Eigentlich nichts», erwidert sie und fährt fort: «Früher kam ich bestens ohne Menschen aus. Ich habe viel gelesen und Briefe geschrieben und fand vor allem Halt und Rückhalt in Gott. Das ist mir abhandengekommen. Gott ist bedeutungslos geworden. Für mich zählen nur noch die Begegnungen mit Menschen.»

«Wer sind die Menschen, auf die Sie warten und zählen können», frage ich nach.

«Meine Mutter z. B., sie ruft mich regelmässig an. Früher habe ich mich um sie gekümmert, jetzt ist es umgekehrt. Oder M., eine langjährige Freundin. Ich war einst ihre Praktikantin und die Beziehung hat bis heute gehalten.»

«Gibt es noch andere Menschen, auf die Sie zählen können», frage ich weiter.

«Ja, mein Freund», erzählt sie mit strahlenden Augen. «Er wohnt in Zürich. Wir haben uns beim Wandern kennengelernt. Zudem habe ich vier Geschwister. Eine Schwester steht mir besonders nahe.»

«Das ist doch super», erwidere ich erfreut. «Sie dürfen auf eine ganze Handvoll Menschen bauen.»

«Ja, aber eben», meint die Patientin nüchtern, «Gott kommt nicht vor.»

«Könnte es sein», erfrage ich behutsam, «dass Gott vielleicht mit im Spiel ist bei diesen Begegnungen? Könnte es sein, dass Gott gegenwärtig ist, wenn Sie sich Kraft Ihrer Beziehungen geborgen und getragen fühlen?»

Sie lächelt. Das Gottesbild, das ich anbiete, wird mit einem «vielleicht» quittiert.

Die Frau wirkt müde. Unmöglich, jetzt von Martin Buber zu erzählen, der vom «ewigen Du» spricht, das in jeder echten Begegnung für einen Augenblick enthüllt wird. Oder von Carter Heyward, die mit ihrer «Theologie der Beziehung» besagt, dass jeder menschliche Akt der Liebe Gott in der Welt leibhaftig werden lässt.

Auf Wunsch der Patientin treffen wir uns erneut. Gott kommt diesmal nicht zur Sprache. Die Patientin aber teilt mir mit, dass sie wieder in die Kirche eintreten möchte. Dies, sagt sie, könnte ihr vielleicht ein wenig Halt und Sicherheit geben.

Barbara Moser, reformierte Pfarrerin und Seelsorgerin

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