Informiert über die gegenwärtigen Zustände in der Ukraine: Magda Kaczmarek. Foto: zVg

«Jeder und jede in diesem Land leidet.»

Magda Kaczmarek war für «Kirche in Not» in der Ukraine

Auf einer Reise in die Ukraine machte sich Magda Kaczmarek vom Hilfswerk «Kirche in Not (ACN)» ein Bild von den Zerstörungen und der Not vor Ort. Im Gespräch mit dem «pfarrblatt» erzählt sie von dieser Reise und wie das Hilfswerk den Menschen in der Ukraine helfen kann.

Interview: Silvan Beer

«pfarrblatt»: Sie waren kurz vor der Wallfahrt im Kloster Einsiedeln noch persönlich in der Ukraine. Welche Erfahrung haben Sie dort gemacht?

Magda Kaczmarek: Wir haben die Ukraine in der Karwoche besucht. Das Land geht seinen längsten Kreuzweg in der Geschichte. Ein Bischof hat uns durch Kiew gefahren und er hat zu uns gesagt: «Können sie sich vorstellen, alle, die sie hier sehen, sind vom Krieg betroffen. Entweder hat man schon einen nahen Menschen verloren oder man hat Angst um den Vater, Onkel, Cousin oder das eigene Kind, das an der Front kämpft. Man hat das Zuhause verloren und lebt in Angst. Jeder und jede in diesem Land leidet.»

Laut dem Oberhaupt der UGKK (Ukrainische griechisch-katholische Kirche) Sviatoslav Shevchuk tragen 80% der Gesellschaft seelische Wunden von diesem Krieg. Und dennoch ist da dieser unerschütterliche Glaube an den Sieg der Wahrheit und den baldigen Frieden. Ungeheuerlich, aber mitten im Krieg muss das Leben weiter gehen. Die Kinder gehen zur Schule; man arbeitet; man trifft sich mit Freunden, geht in ein Lokal. Das alles wird ständig unterbrochen vom Bombenalarm und zwischen 22 Uhr abends und 6 Uhr morgens darf man das Haus nicht verlassen. Aber dazwischen versuchen die Ukrainerinnen und Ukrainer so gut es geht, das Leben weitergehen zu lassen. Das ist ungemein eindrücklich.

Wie unterstützt Kirche in Not gegenwärtig das ukrainische Volk?

Direkt nach der Invasion im Februar 2022 haben wir sofort unsere Freunde wie zum Beispiel den Grosserzbischof Sviatoslav Shevchuk angerufen und gefragt: Was braucht ihr? Womit kann Kirche in Not Ihnen helfen? Die Situation war so, dass es diese grosse Fluchtbewegung aus dem Osten gab. Hauptsächlich Frauen mit Kindern, Ältere und Kranke, die massenweise ihr Zuhause zurückgelassen haben und in die Westukraine oder das Ausland, hauptsächlich Polen, geflohen sind. Die Priester und Ordensleute sind jedoch geblieben. Da ging es darum, die Existenz dieser Zurückbleibenden zu sichern, damit sie vor Ort weiterwirken können.

Im Westen der Ukraine unterstützen wir die kirchlichen Institutionen, die Binnenflüchtlinge aufgenommen haben. Kirchen, Klöster, Pfarrhäuser und Priesterseminare - alle wurden für die Flüchtenden geöffnet. Die kirchlichen Institutionen platzten von einem Tag auf den anderen aus allen Nähten. Nebst der Unterstützung mit Geld haben wir 2022 über 100 Autos mitfinanziert, die für die Seelsorge in der Kriegszeit und Verteilung der Güter unabdingbar sind. Die Priester und Schwestern helfen auch bei Behördengängen oder bei der Organisation von Transporten.

Zentral ist gegenwärtig die Unterstützung der kirchlichen Institutionen, die die Versorgung der Binnenflüchtlinge sichern. 90% von ihnen sind Mütter mit ihren Kindern, ältere und kranke Personen. Wir versuchen zu ermöglichen, dass diese doch einigermassen ihr Leben weiterführen können und nicht einfach verzweifelt festsitzen. Damit die Betreuung der oftmals stark traumatisierten Menschen gewährleistet ist, bemühen wir uns um psychologische und spirituelle Weiterbildung der Seelsorgenden vor Ort. Zudem werden im Sommer Kinderlager organisiert, die den Kindern aus der Ostukraine neben der pastoralen Seelsorge auch ein wenig Erholung und Ablenkung verschaffen sollen.


Wie wichtig ist es Ihnen, sich vor Ort einen Eindruck zu verschaffen?

Das ist für uns fundamental. Man muss vor Ort sein, um die Zustände und die Bedürfnisse verstehen zu können. In Kiew beispielsweise, das ja teilweise von den Russland besetzt war und dann befreit wurde, haben wir unter anderem ein Priesterseminar gesehen, das von russischen Soldaten bewohnt worden ist. In Irpin konnten wir das Ausmass der Zerstörung der Besatzung verstehen, wir konnten mit Priestern und Menschen sprechen, die dort leben. Auch immer wieder eindrücklich ist zu sehen, wie wichtig die kirchlichen Strukturen in Krisenzeiten sind. Nicht nur für die humanitäre Hilfe aber vor allem für die spirituelle Hilfe. Man sagte uns, dass es an der Front keine Atheisten gibt. Kaum einer trägt nicht ein Heiligenbildchen, ein Kreuz oder einen Rosenkranz mit sich.

Führen Sie uns durch den Prozess. Wie wird die Hilfe durch «Kirche in Not (ACN)» strukturiert?

Das beginnt alles jeweils mit einem persönlichen Brief eines Priesters, Bischofs oder einer Ordensfrau. Es gibt kein Formular für diese Kontaktaufnahme. Es ist uns wichtig, dass dies persönlich geschieht. Diese Anfrage wird anschliessend bearbeitet und genaustens geprüft. Entspricht der Antrag mit den dazugehörigen Dokumenten unseren Richtlinien, so wird das Projekt entschieden. Durch unsere zahlreichen Reisen in die betroffenen Regionen können wir zudem kontrollieren, wo und ob der Bedarf da ist oder ob die Hilfe korrekt umgesetzt wird.
 

ACN ist eine pastorale Stiftung und das grösste pastorale Hilfswerk weltweit, das jährlich fünf- bis sechstausend Projekte unterstützt.
Weitere Infos: kirche-in-not.ch

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