«Das Programm liegt vor: die Frohe Botschaft, sie ist einfach und klar.» Tatjana Disteli. Foto: Felix Wey

«Jetzt müssen wir umkehren»

Der synodale Prozess geht in Prag weiter. Tajana Disteli ist für die Schweiz dabei.

Die Generalsekretärin der Röm.-Kath. Kirche im Aargau, Tatjana Disteli, ist eine von vier Delegierten an der aktuellen kontinentalen Etappe des Synodalen Prozesses vom 5.-12. Februar in Prag.

Interview: Marie-Christine Andres, Horizonte Aargau

Tatjana Disteli, Generalsekretärin der Röm.-Kath. Kirche im Aargau, bildet mit Bischof Felix Gmür, Helena Jeppesen und Cristina Vonzun die Viererdelegation für die Kontinentalsynode in Prag. Im Interview vor der Abreise zeigte sie sich überzeugt, dass die laufende Synode die wohl letzte Chance ist für eine Kirche, die sich radikal wandeln muss.
 

«Horizonte Aargau»: Tatjana Disteli, wie ist Ihre Gefühlslage kurz vor der Abreise nach Prag?

Tatjana Disteli: Trotz immenser Arbeit im Vorfeld und der relativen Ungewissheit, was mich in Prag erwartet, verspüre ich grosse Freude, diesen Prozess miterleben zu dürfen. Daran hatte ich nicht mehr geglaubt. Viele meiner Hoffnungen, die ich als Theologiestudentin Ende der 90er-Jahre hatte, wurden nicht erfüllt. Jetzt bin ich Teil eines synodalen Prozesses, den es so noch nie gab. Allein schon Begegnung und Dialog sind etwas Neues auf dieser Stufe. Nun halte ich neu an der Hoffnung fest, dass Umkehr und Erneuerung möglich sind.

Wie haben Sie sich auf die Kontinentalsynode vorbereitet?

Wir haben mit den direkten Vorbereitungen erst vor zwei Monaten begonnen. Grundlage dafür war das «Arbeitsdokument für die Kontinentale Etappe», das vom Generalsekretariat der Synode im Vatikan erstellt wurde. Darin sind die Ergebnisse der ersten Phase aus allen Ländern der Welt zusammengefasst. Die zweite Grundlage bildet der «Bericht der katholischen Kirche in der Schweiz als Antwort auf die Fragen im Dokument für die kontinentale Etappe des Synodalen Prozesses (DKE)». Zunächst haben wir drei delegierten Frauen uns in unterschiedlichen Kombinationen mit Jugendverbänden, Vertretungen der Ordensgemeinschaften und katholischen Frauenverbänden getroffen, live und online, und uns über das Vorbereitungsdokument ausgetauscht. Dann haben wir auch Statements entgegengenommen, beispielsweise von der römisch-katholischen Arbeitsgruppe des Europäischen Forums christlicher LGBTQ-Gruppen.
 

Nun halte ich neu an der Hoffnung fest. dass Umkehr und Erneuerung möglich sind.


Gab es auch Treffen mit Bischof Felix?

Ja. Wir waren uns schnell einig: Unsere zentralen Themen sind die Partizipation, die Frauenfrage, die Subsidiarität und die Inklusion.

Sind die hohen Erwartungen an den Synodalen Prozess aus Ihrer Sicht hilfreich oder hinderlich, die Erneuerung der Kirche voranzubringen?

Es muss uns klar sein: Die Welt schaut hin und hat Erwartungen. Zu Recht! Mit den Missbrauchsskandalen wurde offenbar, dass die Kirche selbst gegen die Nächstenliebe und alles, was ihr heilig ist, sündigt. Daraus gilt es Schlussfolgerungen zu ziehen und dann zu handeln. Wir alle – und besonders die Entscheidungsträger – stehen heute in grösster Verantwortung gegenüber Gott.

Wie hoch ist das Risiko für die Kirche, wenn die – im Vorbereitungsdokument explizit erwähnte – Umkehr nicht gelingt?

Es wäre eine riesige Enttäuschung, verheerend für Kirche und Gesellschaft. Alle Leute, die sich hoffnungsvoll aufgemacht haben, an diesem Synodalen Prozess teilzunehmen, wären enttäuscht. Eine Austrittswelle, zumindest in Europa, wäre sehr wahrscheinlich. Das Vorbereitungsdokument zeigt: Wir müssen umkehren! Die entsetzlichen Missbrauchsfälle haben den Glauben der Menschen erschüttert. Wenn die Kirche den Anspruch hat, eine glaubwürdige Stimme in der Gesellschaft zu sein, muss sie diese Chance jetzt packen. Es ist wohl die letzte in unserer Gegenwart.
 

Es ist nicht das Ziel der römisch-katholischen Kirche, ein heiliger Rest, eine kleine Minderheit zu werden.


Das Programm sieht vor, dass die einzelnen Sitzungen anderthalb Stunden dauern. Ein gedrängter Zeitplan. Wie gehen Sie vor?

Wir haben noch kaum Informationen zu den inneren Abläufen in Prag erhalten, deshalb gilt es, sich vor Ort rasch und flexibel auf neue Situationen einzustellen. Für uns vier ist klar: Wir werden inhaltlich als Gruppe unterwegs sein, offen und transparent beraten und persönliche Statements abgeben.

Bieten vielleicht die Kaffeepausen Gelegenheit, Beziehungen zu knüpfen und brennende Fragen anzusprechen?

Auf jeden Fall. Mein Motto ist, ganz nach Martin Buber, «Alles Leben ist Begegnung». Ich werde in Prag die Gelegenheiten nutzen, gerade auch mit Delegierten ins Gespräch zu kommen, die religiös in einer völlig anderen Welt leben. Ich bin überzeugt, dass wir unsere jeweilige «Bubble» verlassen und miteinander von unserem Glauben her sprechen müssen. Es ist nicht das Ziel der römisch-katholischen Kirche, ein heiliger Rest, eine kleine Minderheit zu werden.

Was ist denn das Ziel?

Das Ziel ist es, eine Kirche zu sein, die ihren Auftrag erfüllt, den Menschen Transzendenz- und Gotteserfahrung ermöglicht und Diakonie glaubwürdig lebt. Das wäre gar nicht so schwierig, das Programm dazu liegt vor uns: die Frohe Botschaft. Sie ist einfach und klar.

Und was macht es der Kirche so schwierig, sich zu verändern?

Schwierig macht es die Angst der Würdenträger, falsche Entscheidungen zu treffen. In den letzten Tagen vor Beginn der Kontinentalsynode wurden diese Gegenkräfte wieder stärker spürbar. Daraufhin erinnerten der Leiter des Synodensekretariats, Kardinal Mario Grech, und der Hauptberichterstatter der Synode, Kardinal Jean-Claude Hollerich, die Bischöfe in einem Brief daran, die Kontinentalsynode nicht zu instrumentalisieren. Sie sollten sich in Prag «um Einheit in der Kirche bemühen». Doch die Kirche kann sich verändern, ohne ihre übergeordneten Glaubenswahrheiten preiszugeben.
 

Stimmen aus allen Erdteilen wünschen Mitbestimmung, gleiche Verantwortung und gleiche Beauftragung beider Geschlechter.


Welches sind die Glaubenswahrheiten?

Darüber müssten wir lange sprechen. Im Zentrum steht das oberste Gebt der Gottes- und Nächstenliebe - davon wird alles abgeleitet. Das Gesetz ist für die Menschen da. Wo die Regeln der Kirche suchende Menschen verletzen und verstossen, statt sie anzunehmen, wie sie sind, da handelt sie falsch.

Was haben Sie persönlich im Lauf des Synodalen Prozesses gelernt und erkannt?

Mir wurde bewusst, wie sehr die internen Spannungen nach aussen ausstrahlen und der Kirche schaden.Wir brauchen neue Hoffnungszeichen! Wenn wir die Verantwortung annehmen, den Auftrag Gottes in dieser Welt zu erfüllen, dann müssen wir uns auf den Weg machen, radikal glaubwürdig zu werden: Echte Einsicht, keine Tabus mehr, dafür jesuanische Visionen, Mut zur Umkehr, Beichte - und Neuanfang: Auf diesem Boden können wir dann neue Wege finden, glaubwürdig hin zu den Menschen in und ausserhalb der Kirche. Eine wichtige Erkenntnis für mich ist auch, dass die katholische Kirche sich überall auf der Welt mit den gleichen Fragen beschäftigt und es explizit nicht wahr ist, dass gewisse Themen nur in unserer säkularisierten westlichen Gesellschaft aktuell sind.

Etwa die Frage nach der Stellung der Frau.

Genau. Das Grundlagendokument hält das deutlich fest. Stimmen aus allen Erdteilen wünschen Mitbestimmung, gleiche Verantwortung und gleiche Beauftragung beider Geschlechter. Mir persönlich liegt dieses Thema sehr am Herzen. Wie Jesus zu seiner Zeit mit den Frauen umging, sagt alles. Frauen leiteten Gemeinden und tauften, bis ins 4. Jahrhundert hinein. Ich bedaure, dass wenig theologisch und kirchenhistorisch argumentiert wird. Der Zerfall der kirchlichen Strukturen und Gemeinschaften schreitet fort, solange die Kirche ihre jetzigen Zugänge zum Priestertum aufrechterhält. Wenn wir davon ausgehen, dass Gott existiert, und das Beste will für diese Welt, muss die Kirche die vielfältigen Charismen wahrnehmen, prüfen, und die Menschen aussenden. Um Gottes und der Menschen willen.

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