Als kleine Lichter im Dunkeln sind Kerzen ein Zeichen der Hoffnung. Foto: Dimitri Karastelev, unsplash.com

Kerzen im Advent

Von der sanften Kraft, die dem Kerzenschein innewohnt

Zündet Kerzen an – eine, zwei, drei, dann vier. Kerzen sind das ruhige Gegenstück der wilden Sommerfeuer. Und Zeichen der Hoffnung.

von Hans Herrmann*

Im Wald an einem einfachen Steinkreis grillieren: Diesem Vergnügen wohnt eine archaische Magie 
inne. Nicht wegen der Würste, die über der Glut garen. Sondern 
wegen des Feuers. Dieser Geruch nach Rauch, dieses Aufschiessen und Züngeln der Flammen, dieses Knistern und Knacken weckt 
vererbte Kollektiverinnerungen an uralte Zeiten, als sich die Sippe 
am Lagerfeuer wärmte, das erjagte Fleisch briet und sich nach dem Schmaus magische und mystische Geschichten erzählte.

Der Sommer ist, volkskundlich 
betrachtet, die Jahreszeit der traditionellen grossen Festfeuer. In Deutschland lodern die Johannisfeuer, in Skandinavien die Mittsommerfeuer, in der Schweiz die 1.-August-Feuer. Später, im Herbst, verliert das Feuer seine extrovertierte Kraft, es wird sanft und innerlich: Die Zeit der Kerzen beginnt,
die Adventszeit.

Das Feuer der Innerlichkeit

«Advent, Advent, ein Lichtlein brennt» – die stille, kleine Flamme einer Kerze schafft eine Atmosphäre der Innerlichkeit, Feierlichkeit, Beschaulichkeit und 
Kontemplation. Kein Wunder, gehören Kerzen in Kirchen seit 
Jahrhunderten zur festen Ausstattung, und kein Wunder, versenken sich manche Meditierende in den Anblick einer Kerzenflamme, um das Bewusstsein in die tiefen Gewässer des Nichtdenkens und Nichtwollens zu lenken.

Am 24. Juni, wenn die Sommerfeuer ihre Funken versprühen, hat 
Johannes der Täufer seinen Namenstag. Laut dem Neuen Testament 
war er der Wegbereiter von Jesus, dem Messias. Johannes sagte: «Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen.» Will heissen, der Einfluss von Jesus muss zunehmen, der von Johannes schwinden. Die 
Natur zeichnet diesen Ausspruch nach: Nach Johanni werden 
die Tage kürzer und kürzer. Im Adventsmonat Dezember schliesslich sind die Tage so kurz und die Nächte so lang, dass es kaum vorstellbar scheint, dass die Sonne auch wieder einmal erstarken wird.

Als kleine Aufheller in der dunklen Zeit brennen in den Stuben die Adventskerzen und am 24. Dezember, exakt ein halbes Jahr nach dem Johannistag, die Geburtstagskerzen Jesu. Damit nicht genug: Im Frühling, zu Ostern, zünden Christinnen und Christen weltweit die Osterkerzen an. Deren 
Flammen symbolisieren den Sieg der Hoffnung über den Zweifel und die Verzweiflung.

Gut für die Seele

Deshalb: Zündet eine Kerze an. Zuerst eine, dann zwei, dann drei, dann vier, wie es im Lied «Advent, Advent» so schön und eingängig heisst. Der ruhige Schimmer einer Kerzenflamme tut der Seele gut. Und: Wer eine Kerze anzündet, setzt ein Zeichen der Hoffnung. Hoffnung braucht es in 
diesen dunklen Zeiten mehr denn je.

 

*Erstpublikation dieses Beitrags in «reformiert.»

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