Wunibald Müller. Foto: Katharina Ebel/KNA

Kirche als ein Netzwerk gegenseitiger Unterstützung

Wunibald Müller stellt angesichts der Glaubwürdigkeitskrise der Kirche einfache und klare Forderungen.

Der deutsche Theologe und Psychotherapeut Wunibald Müller fordert für die Kirche einen revolutionären Prozess. Die Laien müssten mehr Verantwortung bekommen. Seine Vision: eine Kirche, in der alle «gleich würdig und gleichberechtigt sind – Frauen und Männer», Kleriker und Laien.

Von Wunibald Müller


Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem, so meine Überzeugung, die Laien in der Kirche mehr Verantwortung als bisher übernehmen müssen, und das aus Verantwortung der Kirche gegenüber. Der Missbrauchsskandal zeigt, dass sich viele Verantwortliche in der Kirche, vornehmlich die Bischöfe, in der Vergangenheit als nicht fähig erwiesen haben, die Kirche gemäss dem Evangelium zu leiten und vor Schaden zu bewahren.

Viele Bischöfe sind trotz gegenteiliger Beteuerungen nicht wirklich bereit, Macht abzugeben oder sie zu teilen. Ihre Machtstellung haben sie sich durch Regeln, etwa das Kirchenrecht, abgesichert, das für unantastbar und sakrosankt erachtet wird. Dazu kommt: Sie sind, einschliesslich des Papstes, zu sehr Teil des Systems, als dass sie in der Lage wären, die Veränderungen und Reformen durchzuführen, die jetzt notwendig sind oder wären, zumal diese Veränderungen das System Kirche und sie selbst als Vertreter dieses Systems betrifft.

Was notwendig ist, ist ein revolutionärer Prozess, der sich freilich unterscheidet von dem, was man üblicherweise unter Revolution versteht. Danach wird die jeweilige Machtpyramide auf den Kopf gestellt, und jene, die sich aufgelehnt haben, steigen von unten nach oben. Das aber wird nicht das Modell für die notwendige Revolution in der Kirche sein. Bei der Revolution, die in der Kirche ansteht, geht es nicht darum, die Machtpyramide umzukehren, sondern, so der Benediktiner Bruder David Steindl-­Rast, sie abzubauen und durch ein Netzwerk gegenseitiger Unterstützung und Ermächtigung zu ersetzen.

Machtmissbrauch, Anspruchsdenken, Aufteilungen wie hier die Kleriker, dort die Laien, haben hier keinen Platz. Im Netzwerk muss man keine Machtposition verteidigen, weil alle gleich würdig und gleichberechtigt sind – Frauen und Männer. Ein erster Schritt in diese Richtung würden die deutschen Bischöfe tun, wenn sie, wie es 40 Bischöfe am 16. November 1965 im sogenannten Katakombenpakt taten, feierlich folgendes Gelübde ablegten.

Sie versprechen, im Hinblick auf Wohnung, Essen, Verkehrsmittel und allem, was sich daraus ergibt, so zu leben, wie die Menschen um sie her üblicherweise leben.

Auf Amtsinsignien verzichten

Sie verzichten darauf, als Reiche zu erscheinen und sind dann auch wirklich nicht reich. Das zeigt sich in ihrer Amtskleidung und in ihren Amtsinsignien, die nicht aus kostbarem Metall – weder Gold noch Silber – gemacht sein dürfen. Sie lehnen es ab, mündlich oder schriftlich mit Titeln oder Bezeichnungen angesprochen zu werden, in denen gesellschaftliche Bedeutung oder Macht zum Ausdruck gebracht werden (Eminenz, Exzellenz, Monsignore).

Sie vermeiden in ihrem Verhalten und in ihren gesellschaftlichen Beziehungen jeden Eindruck, der den Anschein erwecken könnte, sie würden Reiche und Mächtige bevorzugt behandeln. Sie teilen ihr Leben mit den anderen Christen, stellen sich und sind bereit, ihr Leben und ihre Entscheidungen kritisch überprüfen zu lassen. Das Amtsverständnis der Kirche gerät ins Wanken. Das wäre zumindest ein Anfang in Richtung Abbau des Klerikalismus und würde, davon bin ich überzeugt, etwas von der verloren gegangenen Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Vertreter zurückgewinnen.

Manche Bischöfe in Deutschland bewegen sich bereits in diese Richtung. Sie gilt es zu unterstützen. Andere wehren sich dagegen. Ihnen muss man helfen, umzudenken und umzukehren. Ein starkes Zeichen wäre auch, wenn Papst Franziskus (...) feierlich verkünden würde, dass er nicht länger als «Heiliger Vater» angesprochen werden will, da er, wie er es selbst einmal in einem Interview sagte, zuallererst ein Sünder ist und damit auf ihn zutrifft, was für alle anderen Kleriker zutrifft, dass sie aus dem gleichen Holz geschnitzt sind wie jeder und jede andere.

 

Wunibald Müller (68)
ist kath. Theologe, Psychotherapeut und Autor. Er war bis 2016 Leiter des Recollectio­Hauses der Benediktiner­Abtei Münsterschwarzach, eine Einrichtung für kirchliche Mitarbeiter*innen in Krisensituationen. kr

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