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«Kirche sein»

Kolumne aus der Inselspitalseelsorge

Nach der Medienmitteilung vom 12. September zur Präsentation der Pilotstudie Missbrauch im kirchlichen Umfeld wurde ich als katholischer Spitalseelsorger von verschiedenen Personen im Spital wie auch im privaten Umfeld auf diese angesprochen. Immer wieder wurde dabei von «der Kirche» gesprochen. Einer Kirche, die sich schuldig gemacht hat!

Ebenfalls in einem Seelsorgegespräch mit einem jüngeren Patienten, der sich selber als kirchenfern bezeichnet, wurde diese «Schuld» von ihm thematisiert. So sprachen wir über Verantwortung, Schuld – und auch darüber, ob diese überhaupt vergeben werden kann. Dann plötzlich fragte mich der junge Mann: «Und wird mir Gott verzeihen?» Ihn plage der Gedanke, dass seine Krankheit eine Art Strafe von Gott selber sei. Er erzählte mir, wie er sich schuldig gemacht habe und dass ihn der Gedanke daran stark beschäftige, ja oft sogar der Grund dafür sei, dass er in der Nacht keine Ruhe fände und kaum schlafen könne. Wieder standen die grossen Themen von Verantwortung, Schuld und verzeihen können im Raum.

Themen, welche sicherlich nicht abschliessend in einem einstündigen Seelsorgegespräch besprochen werden können. Dass seine, von ihm geschilderte, Handlung nicht richtig war, ist uns beiden klar. Ebenfalls, dass er sich dadurch schuldig gemacht hat und bei der betroffenen Person um Verzeihung bitten sollte. So sprachen wir darüber, wie er selber mit dieser Schuld umgehen und einen Umgang mit dieser in seinem Alltag finden könne. Es waren sehr persönliche Worte, welche wir dabei wählten, denn eine allgemeingültige «Lösung» gibt es nicht und kann es auch nicht geben. Seine Gedanken, dass Gott selber ihn nun bestrafe, machten es unumgänglich, dass wir uns über sein Gottesbild unterhielten. Der Patient ist sehr bibelkundig, und so sprachen wir über verschiedene Bibeltexte aus dem Ersten und dem Zweiten Testament. Wir sprachen darüber, was denn der «Charakter» von «seinem Gott» sei, an den er sich täglich in seinen Gebeten wendete.

Währenddem wir so miteinander sprachen, merkte ich plötzlich, wie auch mir dieses Gespräch Erleichterung verschaffte. Während der letzten Tage, seit der Medienmitteilung, hatte ich ein seltsam beklemmendes Gefühl in mir. Viele ganz unterschiedliche Emotionen mischten sich ineinander. Scham, Ohnmacht, Wut, Mitgefühl und viele andere mehr. Es ist das Gefühl von «Kirche sein» im ganz Privaten, ganz nach der Aussage: «Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind ...», welches mich ruhig werden liess und das mir in diesem Moment ebenfalls guttat. Und es war ebenfalls ein starkes Gefühl von Sinnstiftung, welches ich in meiner Arbeit als Spitalseelsorger verspürte.

Patrick Schafer, Seelsorger im Inselspital

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