Die Zukunftsaussichten sind düster, wenn wir nichts unternehmen. Kurt Zaugg-Ott. Foto: zVg

«Klimaschutz hat einen langen Bremsweg»

Abstimmung vom 13. Juni: Kurt Zaugg-Ott, Leiter von oeku, zum CO2-Gesetz und seinen Chancen.

Am 13. Juni wird in der Schweiz über das CO2-Gesetz abgestimmt, dass sicherstellen soll, dass das Land den Treibhausgas-Ausstoss bis 2030 gegenüber dem Wert von 1990 halbiert. Justitia et Pax, Fastenopfer und oeku haben sich im Namen der katholischen Kirche dazu in einer Stellungnahme geäussert. Kurt Zaugg-Ott, Leiter von oeku, berichtet über die Chancen dieses Gesetzes und welche Anstrengungen es darüber hinaus noch braucht.


Interview: Detlef Kissner, «forumKirche» Thurgau


«forumKirche»: Wie viel Zeit bleibt aus ihrer Sicht noch, den Klimawandel zu stoppen?

Kurt Zaugg-Ott: Ich stütze mich auf das, was ich von der Wissenschaft höre. Es heisst, wir haben nur noch etwa zehn Jahre Zeit, um die Erderwärmung auf zwei, vielleicht sogar eineinhalb Grad zu begrenzen. Aber das bedingt natürlich weltweites Handeln. Wenn wir den CO2-Ausstoss nicht massiv reduzieren, steigt die Gefahr, dass Kippeffekte eintreten und wir die Kontrolle verlieren. Was wir heute an CO2 ausstossen, wirkt sich sehr verzögert in der Atmosphäre aus. Klimaschutz hat einen langen Bremsweg. Das ist auch das Problem. Das Resultat der Anstrengungen, die wir jetzt unternehmen, zeigt sich erst Jahrzehnte später.

Wo steht die Schweiz heute bezüglich des Ausstosses von Treibhausgasen im weltweiten Vergleich?

Es kommt darauf an, was man alles einbezieht. Wenn man rein von den Inland-Emissionen ausgeht, liegen wir bei 5,5 t pro Kopf und Jahr, wenn man die Importe einbezieht, sind wir schon bei 14 t. Das ist vergleichbar mit anderen europäischen Staaten und nicht allzu weit weg von den USA. Es ist aber schwierig, diese Zahlen fair zu vergleichen.

Die Industriestaaten sind auf jeden Fall die Hauptverursacher.

Es ist eine Frage des Wohlstands. Wer viel Wohlstand hat, hat in der Vergangenheit automatisch auch mehr CO2 produziert.

Wohlstand und Wachstum benötigen Energie, die bisher nicht CO2-neutral war.

Ja, hinsichtlich des Energieverbrauchs konnte man in der Schweiz seit den 50er-Jahren einen enormen Zuwachs feststellen, in allen Bereichen, aber vor allem bei fossilen Energien. Wir sind heute nach wie vor zu fast 70 Prozent von importiertem Öl, Benzin und Gas abhängig. Bis vor kurzem haben wir gemeint, es reiche, wenn man weniger Erdöl verbraucht. Aber nach der Klimakonferenz in Paris 2015 wurde klar, dass wir aus den fossilen Energien komplett aussteigen müssen, wenn wir den Klimawandel stoppen wollen. Das ist eine enorme Herausforderung. Auch der Bundesrat möchte bis 2050 auf Null herunterkommen.

In der Stellungnahme wird auf die «grosse Verantwortung» der Schweiz im Kampf gegen den Klimawandel hingewiesen…

Die Schweiz ist ein Land, das politisch und wirtschaftlich einen viel grösseren Einfluss hat, als man auf den ersten Blick meinen könnte. Von daher ist es schon entscheidend, wie wir handeln. Wir sind ein Land, das das Knowhow und die wirtschaftlichen Möglichkeiten hat, den Wohlstand mit sinkendem Ressourcenverbrauch zu sichern. Wir können und müssen uns das leisten.

Die Schweiz hat einen grossen Teil ihres Wohlstands mit dem explodierenden Energieverbrauch der 50er- bis 70er-Jahre aufgebaut. Damit haben wir die Verantwortung, jetzt den ökologischen Fussabdruck zu reduzieren und ärmeren Staaten zu helfen, sich gegen den Klimawandel zu wappnen.

Was trägt das CO2-Gesetz zur Reduktion von Treibhausgasen bei? Wie viel Biss hat es?

Das werden wir sehen. Das jetzige CO2-Gesetz ist eine Erweiterung des Gesetzes, das in der Kyoto-Periode beschlossen wurde. Die Möglichkeiten des damaligen Gesetzes hat der Bundesrat nicht voll ausgeschöpft. Eine CO2-Abgabe auf Treibstoffe, die im Gesetz ursprünglich vorgesehen war, wurde z. B. nie durchsetzt. Dagegen hat sich die Automobilwirtschaft erfolgreich gewehrt. Es gab nur eine Kompensationslösung und die hatte keine Lenkungswirkung. In der CO2-Statistik des Bundesamt für Umwelt (BAFU) sieht man, dass im Gebäudebereich viel passiert ist – dort wirkte die CO2-Abgabe. Da ist man mit einer Reduktion um 16 Prozent beinahe auf Kurs.

Im Verkehr hingegen liegen wir höher als im Bezugsjahr 1990. Das neue Gesetz übernimmt die Vorschriften der EU in Bezug auf den durchschnittlichen CO2-Ausstoss der Neuwagenflotte. Das ist gut, weil so mehr emissionsarme Fahrzeuge in den Verkauf kommen. Aus dem Klimafonds werden zudem klimafreundliche Investitionen unterstützt, wie zum Beispiel Ladestationen für Elektroautos oder die Beschaffung von Elektrobussen.

Welches ist aus Ihrer Sicht die wichtigste Massnahme?

Ich denke, das Gebäudeprogramm mit einer nochmaligen Erhöhung des CO2-Abgabesatzes und verschärften Vorschriften beim CO2-Ausstoss von Heizungen. Ab 2023 resp. 2026 dürfen nur noch in Ausnahmefällen neue Öl- und Erdgasheizungen eingebaut werden. Das wird einen starken Effekt haben. Neu haben wir endlich Massnahmen im Flugverkehr. Dieser Bereich war bisher ausgeschlossen. Die Abgaben fliessen zum Teil in den Klimafonds, womit Innovationen finanziert werden können, oder sie werden rückerstattet.

Wie kann gewährleistet werden, dass das Gesetz niemanden sozial überfordert?

Ich denke an den Verkehrsbereich. Es gibt sehr viele Möglichkeiten, wie man Abgaben vermeiden kann. z.B. indem man weniger Auto fährt, indem man einen Kleinwagen wählt, oder indem man auf ein Elektromobil umsteigt. Ein Elektromobil ist zwar teuer in der Anschaffung, aber im Unterhalt und Verbrauch ist es günstiger. Fakt ist, dass wer selber sparsam lebt und wenig fliegt, unter dem Strich mehr im Portemonnaie hat als vorher.

Inwieweit ist das Gesetz ein Beitrag zur globalen Klimagerechtigkeit?

Weil es bei den Verursachern ansetzt. Als reiche Gesellschaft haben wir die Mittel, Abgaben zu zahlen und den Verbrauch zu reduzieren, damit ärmere Länder weniger unter dem Klimawandel zu leiden haben. Die Menschen dort haben weniger Möglichkeiten, CO2 zu reduzieren, weil sie gar nicht so viel verbrauchen, und sie sind überdurchschnittlich betroffen durch den Klimawandel, der voll eingesetzt hat.

In der Stellungnahme weisen Sie darauf hin, dass das «CO2 Gesetz ambitionierter sein könnte…». An welchen Stellen hätten Sie sich denn weitergehende Massnahmen gewünscht?

Im Gesetz ist momentan das enthalten, was politisch mehrheitsfähig ist. Das hat sich im Parlament gezeigt. Dieses Mindestpaket müssen wir jetzt in Kraft setzen. Es ist klar, dass weitere Massnahmen notwendig werden. Die EU hat ihre Klimaziele bereits nach oben angepasst für 2030. Ich bin gespannt, ob die Schweiz nachzieht. Man muss schon heute an die nächste Gesetzesrevision denken, die das Ziel der Netto-Null-Emissionen bis 2050 umsetzen muss.

Das heisst es könnte bis 2030 Massnahmen geben, die über das Gesetz hinausgehen?

Ja, beispielswiese wurde kürzlich die Gletscher-Initiative eingereicht, die das Ziel der Netto-Null-Emission bis 2050 in der Bundesverfassung festschreiben will. Der Bundesrat hat dazu einen Gegenvorschlag vorgelegt. Wir werden auch nach dem 13. Juni über Klimafragen diskutieren. Mit der Gletscher-Initiative ist die Diskussion bereits angestossen.

Manchen Umweltverbänden geht das Gesetz nicht weit genug…

Ich verstehe, dass sie mit dem Gesetz nicht zufrieden sind, aber es ist das, was im Moment realpolitisch umsetzbar ist. Es ist wichtig, dass wir diese Schritte jetzt tun. Wenn wir das Gesetz ablehnen, verlieren wir 3 bis 5 Jahre.

Warum setzt sich die Kirche für die Annahme des Gesetzes ein?

Der Klimawandel betrifft die ganze Welt. Die Kirche macht Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft. Die Zukunftsaussichten sind düster, wenn wir nichts unternehmen und der Klimaerhitzung ihren Lauf lassen. Von daher denke ich, ist es das ureigene Anliegen der Kirche, die Bewahrung der Schöpfung ernst zu nehmen und so handeln, dass wir Menschen auf dieser Welt eine Zukunft haben.

Wird die Kritik nach der letzten Abstimmung das kirchliche Engagement beeinflussen?

Die Kirchen bringen sich aufgrund der Erfahrung mit der Konzernverantwortungsinitiative mit einer gewissen Zurückhaltung ein. Es steht dieses Mal keine aktive Kampagne hinter dem Positionsbezug der kirchlichen Werke. Von katholischer Seite haben Justitia et Pax und das Fastenopfer Stellung genommen, zusammen mit oeku Kirchen für die Umwelt. Ich würde es allerdings bedauern, wenn sich nicht die eine oder andere Kirchenleitung zur jetzigen Abstimmung äussern würde. Es handelt sich ja nicht um irgendeine Initiative, sondern um einen breit abgestützten Kompromiss einer Mehrheit, die sich zusammengerauft hat. Wir hoffen, dass wir mit unserer zurückhaltenden aber positiven Stellungnahme überzeugen können.

 

Stellungnahme zum CO2-Gesetz

 


Als Gegenmassnahme gegen den Klimawandel haben Bundesrat und Parlament eine Strategie entwickelt, mit der die CO2-Emissionen weiter gesenkt werden sollen. Diese Strategie wurde im CO2-Gesetz verankert.

Gegen dieses Gesetz hat wurde das Referendum ergriffen. Laut dem Wirtschaftskomitee «Nein zum CO2-Gesetz» ist das Gesetz teuer und für das Klima nutzlos. Zudem sei es ungerecht, weil es vor allem die mittleren und unteren Einkommen treffe. Ausserdem würden sich kleinere und mittlere Unternehmen mit zusätzlichen Abgaben und Vorschriften konfrontiert sehen.
Für das Komitee «Für eine soziale & radikale Klimapolitik» verfestigt das Gesetz klimazerstörerische Strukturen.

Bundesrat und eine Mehrheit des Parlaments dagegen sind überzeugt, dass mit diesem Gesetz die Schweiz ihren Teil zur Bekämpfung des Klimawandels wirksam beitragen könne. Das Gesetz sieht für Privatpersonen und Unternehmen, welche wenig CO2 verursache, finanzielle Anreize und Rückvergütungen vor. Ausserdem soll es Investitionen in den Klimaschutz und in die technische Entwicklung geben. Als Beispiel nennt der Bundesrat Anreize für Fahrzeuge, die Benzin und Diesel verbrauchen. Das bringe allen Vorteile, heisst es, denn damit werde nicht nur das Klima geschützt, sondern auch Arbeitsplätze geschaffen und Aufträge für die KMU generiert.

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