Modelle, Bücher und selbst moderne Computerprogramme können das Lernen am realen menschlichen Körper nicht ersetzen. Foto: Unsplash / Jesse Orrico

Körperspenden: Ein grosser Dienst für die Gesellschaft

Ökumenische Gedenkfeier für Angehörige

Trotz allem technischen Fortschritt üben angehende Medizinerinnen und Mediziner ihr Handwerk auch an Körpern verstorbener Menschen. Jedes Jahr findet auf dem Bremgartenfriedhof in Bern eine ökumenische Gedenkfeier statt, die Studierende und Angehörige von Körperspendenden zusammenbringt.

Marius Leutenegger

Die Erdbestattungskapelle des Bremgartenfriedhofs in Bern ist am 4. Mai bis auf den letzten Platz gefüllt. Es sind vor allem junge Menschen, die andächtig zuhören, wie ein vielköpfiger Chor die Feier mit «Angels» von Robbie Williams einläutet.

«Herzlich willkommen zur Gedenkfeier für die Körperspenderinnen und Körperspender», begrüsst Benjamin Svacha, Leiter der der katholischen Hochschulseelsorge aki, die Anwesenden. Die jungen Menschen sind Medizinstudierende, die im Rahmen der Gedenkfeier ausdrücken möchten, wie dankbar sie für diese Körperspenden sind. «Unser ganz besonderer Dank gilt heut den Körperspenderinnen und Körperspendern», sagt denn auch Valentin Djonov, Geschäftsführender Direktor der Anatomie an der Universität Bern, anschliessend. «Diese Menschen haben ihre Körper der Aus- und Weiterbildung von Medizinern zur Verfügung gestellt und erweisen dadurch der Gesellschaft einen grossen Dienst. Sie tragen mit ihrer Spende dazu bei, dass sich die Medizinstudierenden eine solide Grundausbildung im Bereich der Anatomie aneignen können, die allein mit Büchern und Computerprogrammen nicht zu erreichen wäre.»

Die Spender und Spenderinnen würden dadurch helfen, Leid zu mindern und Leben zu retten, und sie sollen mit der Gedenkfeier die Würdigung erfahren, die sie für ihre grosse Geste verdient haben. Doch die Feier ist auch für die Angehörigen. Valentin Djonov: «Wir möchten Ihnen die Möglichkeit geben, einen würdigen Abschied zu nehmen.»


Würdigung mit Tradition

Die ökumenische Gedenkfeier für Körperspenderinnen und -spender wird unter der Leitung der katholischen und reformierten Hochschulseelsorgen sowie der Medizinischen Fakultät seit vielen Jahren durchgeführt. «Schon während meines Studiums, vor etwa sieben Jahren, durfte ich einmal mithelfen», erinnert sich aki-Leiter Benjamin Svacha. Dieses Jahr war er zum zweiten Mal als Co-Leiter der Feier involviert. In erster Linie richtet sich die Gedenkfeier an die Angehörigen, die aufgrund des Spendenwunschs nie auf traditionelle Weise von den Verstorbenen Abschied nehmen konnten. Denn kremiert und im Gemeinschaftsgrab beigesetzt werden gespendete Leichname erst, wenn die Studien abgeschlossen sind. Dies kann einige Jahre dauern.

«Mit der Gedenkfeier möchten wir die Spende der Verstorbenen würdigen und sie als das grosse Geschenk wahrnehmen, das sie ist», sagt Benjamin Svacha. Er weiss, dass eine Körperspende für Angehörige nicht immer einfach zu akzeptieren ist. «Umso wichtiger ist es, ihnen eine Möglichkeit zu geben, mit sich und dem Wunsch der verstorbenen Person ins Reine zu kommen.»

Eindrücke für die Zukunft

«Ich finde es wichtig, den Angehörigen zu zeigen, wie wichtig Körperspenden für uns Studierende sind», bestätigt der Medizinstudent Balts Streit. Die Gedenkfeier sei für die Studierenden der einzige Weg, dies zu tun, denn sie wissen ja nicht, ob auf dem Tisch ein Fredy Müller oder eine Anna Meier liegt. Das sei auch gut so, denn es sei wichtig, zum Körper eine gewisse Distanz zu haben. Schliesslich sei der sogenannte Präparierkurs für die jungen Menschen trotz allem theoretischen Vorwissen so oder so eine eindrückliche Erfahrung. Für Balts Streit ist es deshalb selbstverständlich, der Gedenkfeier nicht nur beizuwohnen, sondern sich auch mit einem Wortbeitrag und als Chormitglied an ihrer Gestaltung zu beteiligen – obwohl jetzt eigentlich Prüfungszeit ist. «Ich werde die Eindrücke des heutigen Tags sicherlich mitnehmen können für meine spätere Arbeit», ist er überzeugt, «ich bin froh, dass ich dies erleben durfte.»


Zwischen Menschlichkeit und Professionalität

Die Beteiligung von Medizinstudierenden der Universität Bern an der Gedenkfeier hat Tradition. Mit Wort- und musikalischen Beiträgen machen sie deutlich, wie sehr sie die Spende der Verstorbenen zu schätzen wissen – und dass die Verstorbenen nicht einfach nur «Übungsmaterial» sind. «Mir ist es wichtig auszudrücken, dass für uns Studierende die Körper nicht nur eine Ansammlung von Sehnen, Muskeln und Organen sind», sagt Nora Michel. «Uns ist bewusst, dass vor uns Menschen auf dem Tisch im Präparationssaal liegen, die gelebt und geliebt haben. Und das wollte ich mit meinem Wortbeitrag zum Ausdruck bringen.»

Trotzdem ist es für die angehenden Medizinerinnen und Mediziner wichtig, sich nicht auf einer allzu persönlichen Ebene auf die Verstorbenen einzulassen – eine Gratwanderung, wie auch Studentin Nora Michel erfuhr. «Am Anfang ist es seltsam», sagt sie, «besonders wenn man an einem Gesicht arbeitet. Aber man entwickelt zum Glück recht schnell einen gewissen Tunnelblick, ohne den wir unsere Arbeit gar nicht verrichten könnten.» Gänzlich verbannen könne man die menschliche Ebene allerdings nie.

Rege Teilnahme

Die angehenden Medizinerinnen und Mediziner zur Teilnahme an der Gedenkfeier zu motivieren, ist laut Benjamin Svacha «mit das einfachste an unserer Arbeit an der Universität». Zusammen mit seinem reformierten Kollegen, Thomas Schüpbach, stellt der Theologe jeweils in einer Viert-Semester-Vorlesung das Angebot vor; anschliessend können sich die angehenden Medizinerinnen und Mediziner auf freiwilliger Basis melden.

In diesem Jahr hatte allein der Ad-hoc-Chor etwa 50 Mitglieder. «Ich finde das immer wieder beeindruckend», sagt Benjamin Svacha. Wer selbst keinen Beitrag leisten möchte, kann auch einfach als Zuschauer an der Feier teilnehmen; alle Studierenden des entsprechenden Jahrgangs werden jeweils dazu eingeladen. So kommt es, dass der Gedenkfeier jedes Jahr rund 300 Menschen beiwohnen.

Zurück ins Leben

Die Gedenkfeier erreicht ihren emotionalen Höhepunkt, als die Namen der Verstorbenen verlesen werden. Für jeden Körperspender, jede Körperspenderin, wird eine Kerze entzündet. Die Kerzen können die Angehörigen anschliessend als Erinnerung mit nach Hause nehmen. Nach dem abschliessenden Segen, den Benjamin Svacha und Thomas Schüpbach gemeinsam sprechen, beschliesst der Chor mit «Amazing Grace» die Gedenkfeier. Nun geht es für die Anwesenden zurück in den Alltag. Und für die Medizinstudierenden zu ihren Büchern, mit denen sie sich auf die anstehenden Prüfungen vorbereiten.

 

Körperspende als letzter Wille
In der Regel erhält das Institut für Anatomie der Universität Bern pro Jahr rund 100 bis 150 Anmeldungen von Personen, die ihren Körper nach dem Tod spenden wollen. Im Durchschnitt werden am Institut jährlich 50 bis 55 Todesfälle von Körperspenderinnen und -spendern gemeldet. Davon werden ca. 40 Körper aufgenommen. Ablehnungen erfolgen unter anderem wegen Infektionskrankheiten, offenen Wunden oder starkem Übergewicht. Spenderinnen und Spender werden bezüglich dieser Einschränkungen bereits zu Lebzeiten informiert. Die Körper werden für Ausbildungs-, Weiterbildungs-, Fortbildungs- sowie Forschungszwecke verwendet. Diese Zwecke können mit den rund 40 jährlich aufgenommen Körpern erfüllt werden. Interessierte erhalten weitere Informationen und eine Informationsbroschüre zum Download auf der Website des Instituts für Anatomie der Universität Bern. ana.unibe.ch

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