Die Imame sind beeindruck von der Kloster-Bibliothek mit ihren 230 000 Büchern. Mitte: Pater Cyrill, rechts von ihm: DAIGS-Präsident Mehas Alija Foto: Sylvia Stam

Koranverse erklingen im Kloster

Imame im Kloster Einsiedeln

Warum macht man mit Wasser ein Kreuz auf die Stirn? Wie finanziert sich ein Kloster? In Einsiedeln bekam eine Gruppe von Imamen Anfang Oktober Einblicke ins benediktinische Klosterleben. Und einen Raum für ihr eigenes Mittagsgebet.

von Sylvia Stam

Der orientalische Teppich liegt diagonal zu den Wänden des barocken Saals. Er ist nach Osten ausgerichtet, nach Mekka. Wo sonst Musikkonzerte stattfinden, ist an diesem Mittag der klangvolle Sprechgesang eines Imams zu hören, der Koranverse rezitiert.

Vierzehn weitere Männer, mehrheitlich Imame der Albanisch-Islamischen Gemeinschaften der Schweiz, sitzen in drei Reihen hinter ihm. Gemeinsam beten sie, verbeugen sich, setzen sich auf, verbeugen sich wieder, ehe sie mit einer eleganten Bewegung von den Füssen her aufstehen. Sie wiederholen die Bewegungen mehrmals, synchron, es wirkt wie ein meditatives Ballett.

Beten darf man überall

«Wir sind dankbar, dass wir hier in einem Kloster beten dürfen», sagt Mehas Alija, Präsident des Dachverbands der Albanisch-Islamischen Gemeinschaften in der Schweiz (DAIGS), nach dem Mittagsgebet. «Auch Mohammed hat Christen erlaubt, in der Moschee von Medina zu beten», fügt der St. Galler Imam an. «Man darf überall beten», antwortet Pater Cyrill Bürgi lachend. Er ist im Kloster Einsiedeln für die Wallfahrt zuständig und führt die muslimischen Gäste durch das Kloster.

«Ich zeige Ihnen mein Leben», hatte er zur Begrüssung gesagt. Noch vor dem Mittagessen hatte die Gruppe dem Mittagsgebet der Mönche beigewohnt. Auf einem Rundgang durch das Kloster erfahren sie nun, wie der Tagesablauf der Mönche aussieht, welche Gebäude zum Klosterkomplex gehören, warum die Madonna schwarz geworden ist und was Votivtafeln sind.

Die 15 Männer mittleren Alters hören aufmerksam zu, ihr Interesse zeigt sich in vielfältigen Fragen:  «Haben Sie noch andere Tätigkeiten, ausser Priester?», will jemand von Pater Cyrill wissen. «Nein», entgegnet der 50-Jährige, der seit 27 Jahren im Kloster lebt. «Das ist mein Leben. Die Klostergemeinschaft ist meine Familie.» Sie seien eine Gemeinschaft, die versuche, das Evangelium zu leben, «das, was Jesus gesagt hat». Er habe aber innerhalb der Gemeinschaft durchaus verschiedene Aufgaben: Er ist für die Wallfahrer:innen zuständig und in der Schule als Seelsorger und Religionslehrer tätig.

Muslimische Kleider für die Madonna

«Wie finanziert sich das Kloster? Gibt es Unterstützung vom Vatikan?», will ein weiterer Herr wissen. Pater Cyrill verneint und erklärt, dass das Kloster autonom und vom Vatikan unabhängig sei, weitgehend von Spenden lebe und auch Steuern bezahle.

«Maria ist ein Anziehungspunkt für die Menschen», erklärt er, als die Gruppe bei einer Marienstatue hält. Es ist eine Kopie der Madonna in der Kirche, allerdings ohne schmuckes Kleid. «Durch den Rauch der vielen Kerzen wurde sie schwarz. Wir grüssen sie mit dem «Salve Regina» als unsere Königin.» Den Kleiderschrank bekommen die Gäste zwar nicht zu sehen, erfahren aber, dass die Madonna auch drei Kleider habe, die von muslimischen Frauen gespendet wurden.

Beeindruckt sind die Gäste von der Bibliothek mit ihren rund 230 000 Büchern, ebenso von einer reich bebilderten Bibel mit den typischen prunkvollen Initialen. Das grosse «I» des ersten Bibelverses «Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde» erinnert die Gäste an den Anfang des Korans: «Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen.»

In der barocken Kirche führt Pater Cyrill aus, dass die Mönche hier «im Gebet Kraft holen, um die frohe Botschaft, dass Gott die Menschen liebt, zu leben.»  - «Hier ist das Herz der Gemeinschaft», bringt es einer der muslimischen Gäste auf den Punkt.

Als Muslim geboren

Die Stimmung ist heiter, auch Scherze haben Platz: «Dürfen Priester rauchen?», will ein Imam wissen. «Darf man beim Rauchen beten?», fragt Pater Cyrill schelmisch zurück. Als die Gruppe die Kirche verlässt, bekreuzigt sich Pater Cyrill mit Weihwasser, was prompt eine weitere Frage aufwirft. «Das Weihwasser erinnert uns an die Taufe. Mit der Taufe wird jemand zum Christen», erläutert der Pater. Dies wiederum erstaunt den Fragenden: «Man wird Christ? Als Muslim wird man geboren!», hält er einen Unterschied fest, der ihm offenbar an diesem Nachmittag bewusst wurde.


Im abschliessenden Austausch über Form und Bedeutung des Gebets werden auch Gemeinsamkeiten deutlich: Den fünf Pflichtgebeten für Muslim:innen stehen die fünf Stundengebete der Mönche gegenüber. Während die Muslim:innen mit einer Gebetsschnur die 99 Namen Allahs rezitieren, meditieren die Benediktiner dem Rosenkranz entlang das Leben Jesu. Allerdings ist beim muslimischen Gebet der Vorbeter sichtbar, daher hat es einen Imam beim benediktinischen Mittagsgebet irritiert, dass man den Vorsänger zwar gehört, nicht jedoch gesehen hat. Auch ist der Chorraum der Klosterkirche im Unterschied zur Moschee nicht allen zugänglich. «Das geschieht aus Respekt», erklärt Pater Cyrill, der offensichtlich Übung darin hat, komplexe theologische Zusammenhänge in allgemein verständlicher Sprache zu erläutern. «Im Tabernakel, das ist eine Art Häuschen, werden die Hostien aufbewahrt. Wir glauben, dass Jesus selbst in der Hostie anwesend ist. Aus Respekt vor Jesus halten wir Abstand.»

Nächstes Jahr in der Moschee?

Nicht alles, was sie an diesem Nachmittag hören, ist für die muslimischen Gäste neu. In ihrer Ausbildung hätten sie sich auch Wissen über andere Religionen angeeignet, erklärt einer der Imame gegenüber dem «pfarrblatt». Dennoch: Die Informationen über die barocke Kirche, die Klostergebäude, die Finanzierung oder den Tagesablauf höre er zum ersten Mal. «Man kann vieles erahnen, aber es ist schön, das so direkt von einem Mitglied der Gemeinschaft zu hören.»

Um den Dialog, der an diesem Tag mit nur einem Pater stattgefunden hat, zu vertiefen, spricht sagt Mehas Alija, der sich im Namen der Gruppe bedankt, denn auch eine Gegeneinladung aus: «Gerne erwarten wir euch auch bei uns – vielleicht nächstes Jahr?»

Organisiert wurde Austausch wurde von Azir Aziri, Imam der IKRE-Moschee in Thun, sowie Hans W. Weber, christlicher Beauftragter für den religiösen und interkulturellen Austausch derselben Moschee. 

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