Auf Konzerten von Depeche Mode ist stets das ganze Sortiment an religiösen Symbolen wie Davidsterne, Kruzifixe oder Amulette zu sehen. Foto: Vera Rüttimann

Kosmische Schwingungen

Zum Tod von Depeche Mode-Musiker Andrew Fletcher

Am 26. Mai ist Andrew Fletcher gestorben. Er war der Mann im Hintergrund von Depeche Mode. Sein Tod ist Anlass, einen Blick auf diese Band zu werfen, die für viele Seelentröster und Lebensbegleiter ist. Hier spricht ein Fan.

Von Vera Rüttimann

Dave Gahan wirbelte wie ein Derwisch über die «Waldbühne» in Berlin. «No Tears For The Creatures Of The Night», sang der Sänger der Band Depeche Mode. Neben ihm stand Gitarrist Martin Gore mit Engelsflügeln und im Kettenhemd auf der Bühne. Die Luft brannte. Kosmischen Schwingungen waren auch für mich bei diesem Konzert zu spüren. Für die Ewigkeit festgehalten wurde dieser Gig aus dem Jahr 2018 im Dokumentarfilm «Spirits in the Forest» von Anton Corbijn. Er ist noch kostbarer jetzt, wo offen ist, wie es mit der Band weitergeht
Depeche Mode sind neben den (frühen) Simple Minds die mit Abstand wichtigste Band in meinem Leben. Die Synthie-Popper aus dem englischen Basildon haben mich (ich lernte früh E-Bass) durch meine gesamte Jugend bis in die Jetzt-Zeit begleitet. Sie haben mich mit ihrem mal metallisch-harten, mal melancholisch-warmen Sound durch Höhen und Tiefen geführt.

Der Stille

Für den Klangteppich war Andrew Fletcher mitverantwortlich. Er war der Stille in der Band. Er sagte über sich: «Meine Rolle in dieser Band ist es, im Hintergrund zu stehen. Dave ist der Sänger, Martin ist der Songwriter. I’m the backroom boy. Ich bekomme nicht dieselbe Aufmerksamkeit. Das ist mein Schicksal.» Dennoch war «Fletch» für Depeche Mode unverzichtbar. Das Gründungsmitglied der Band sorgte dafür, dass die Band nicht zerbrach am Gockelkampf zwischen Dave Gahan und Martin Gore.

Kreaturen der Nacht

Der Keyboarder der Band war hinter seinem Gerät oft in Schwarz gekleidet. So wie die ganze Band. Eine ihrer Wurzeln ist die Dark-Wave-Szene. Die düster-melancholischen Elemente in der Musik und in ihrem Style zeugen davon. Am Wave-Gotik-Treffen in Leipzig, das jeweils an Pfingsten stattfindet, ist immer das ganze Panoptikum dieser Anhänger zu sehen. Sie nennen sich Gruftis, Dark Lords oder Gothics. Ich selbst war mal einer.

Die Outfits sind schwarz und sind auf spektakuläre Art schön. Frauen tragen enge Korsagen, nietenbeschlagene Stiefel oder Schnabelschuhe. Ihre Gesichter glänzen in dezentem Blass. Die Augen sind kajalumrandet. Der Szene eigen ist auch der Hang für Mystik, Kirchenruinen und melancholische Landschaften. Und das Interesse an Religionen. Auf Konzerten von Depesche Mode ist stets das ganze Sortiment an religiösen Symbolen wie Davidsterne, Kruxifixe oder Amulette zu sehen.

Start in Berlin

Depeche Mode-Partys werden noch immer gefeiert. So auch in Berlin. Mit dieser Stadt ist diese Band seit den 1980ern verbunden. Die Briten durften als eine der wenigen westlichen Bands überhaupt in der DDR auftreten. Ihre Karriere begann in den legendären Hansa-Studios in Kreuzberg. Dort arbeiteten die Band an Stücken wie «People are people», «Everything counts» und «Shake the disease».

Ihr personal Jesus

Depeche Mode wird eine besonders enge Beziehung zu ihren Fans nachgesagt. Schön dokumentiert ist dies im Dokumentarfilm «Spirits in the Forest». Dort erzählen unterschiedliche Menschen aus aller Welt, wie Depeche Mode ihnen half, die Härten des Alltages zu meistern. Sei es bei Schicksalsschlägen oder unter einem politisch-repressiven System. Dave Gahan & Co als Lichtspender. Andere berichten davon, wie ihren die queere Ästhetik von Martin Gore half, das Coming-Out zu wagen. In Ostdeutschland traf ich zudem auf etliche Leute, die mir mitteilten, dass sie «Depeche» aus politischen Gründen nicht hören konnten. Als der Eiserne Vorhang fiel, war ihre Musik für sie wie eine Katharsis.  

Für viele Fans ist Depeche Mode mehr als eine Band. Ihre Musik scheint für sie nicht von dieser Welt. Nicht nur in Welthits wie «Personal Jesus», «Walking In My Shoes» oder «Never Let Me Down Again» schwingen religiöse Elemente mit. In Konzerten werden Rituale und Gesten in Gefühlen ausgelebt, die einer Messe gleichen.
Noch einmal zurück zu den «Gothiks»: Ein Kenner dieser Szene fasste sein Lebensgefühl einmal so zusammen: «Gothic zu sein bedeutet für die meisten nicht, ständig am Leben zu leiden, sondern die schwarze Seite des Lebens zuzulassen.» Das passt gut auch zu Depeche Mode.

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