Klerikalismus als strukturelles Problem. Es ist nur ein Mensch. Symbolfoto: Manuela Matt

Kulturwandel und Läuterung

Ein Kommentar zur Vorstudie zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche

In den 1990er-Jahren besuchte ich das Internat Don Bosco in Beromünster. Geführt wurde es von Salesianern. Das Internat gibt es heute nicht mehr. Missbrauch, Gewalt und Unterdrückung war nie ein Thema. Es war eine wundervolle Zeit, und ich bin angesichts der aktuellen Ereignisse dankbar, dass ich das so berichten kann.

Eine von der Schweizer Bischofskonferenz in Auftrag gegebene Vorstudie hat am 12. September erstmals das Ausmass des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche offengelegt. Seit 1950 sind laut der von der Universität Zürich durchgeführten Untersuchung mehr als 1000 Fälle in kirchlichen Archiven dokumentiert. In 74 Prozent der Fälle waren die Betroffenen minderjährig. Oftmals wurden die Übergriffe von den Verantwortlichen vertuscht und die Täter, mehrheitlich Priester und Ordensangehörige, geschützt. Die Bischöfe kündigten weitere Untersuchungen sowie die Schaffung einer neuen Meldestruktur für Opfer an.

Am 15. September habe ich Bischof Joseph Bonnemain interviewt. Auf dem Weg nach Zürich kam mir meine katholische Herkunft und Sozialisation im Luzernischen in den Sinn. Ich behaupte heute für mich, dass ich ein gesunder, selbstständiger Mann bin. Gleichwohl erinnerte ich mich beim Gedanken an Bischof Bonnemain an einen Satz aus meiner Jugend: «Sei respektvoll, das ist ein geweihter Mann.» Der «geweihte Mann» war für mich noch lange eine besondere Kategorie. Meiner Meinung nach ist das ein Hauptproblem der katholischen Kirche. Der Klerikalismus, die ganze Struktur und die Machtbereiche sind reiner Ballast.

Unlängst feierte der Pastoralraum Bern Oberland sein 10-jähriges Jubiläum. Es war eine schöne Feier bei prächtigem Wetter. Im Gottesdienst wirkten fünf Priester mit, eine Theologin und zwei Diakone. Während der Eucharistie zelebrierten die Priester mit eindrücklichen Gesten am Altar die Wandlung von Brot und Wein, am Rand der Szenerie standen als blosse Dekoration die Theologin und die Diakone.

Der von Bischof Bonnemain angemahnte Kulturwandel, der Wunsch nach Läuterung, kommt spät. Diese römische Kirche mit dem Ausschluss von Frauen, ihren Macht- und Exklusivitätsansprüchen, dem Verteufeln von Sex, Intimität und Erotik, den Abhängigkeitsverhältnissen und vielem mehr kann nicht konstruktiv mit der Gefahr von sexuellem Missbrauch umgehen.

Die Abschaffung des Zölibats wird nun allenthalben als gute Lösung propagiert. Der Gedanke dahinter bleibt rätselhaft. Wenn also die Priester heiraten dürfen, dann wird alles gut. Frauen sind in diesem Szenario erneut Körper, die sich der männlichen Lust zur Verfügung zu stellen haben. Ausserdem werden Sextäter so präventiv sicher nicht aufgehalten. Das Zölibat ist mit Sicherheit Teil des Problems. Der Papst aber kann es mit einem Federstrich aufheben.

Der Kulturwandel in der Kirche muss vielmehr die Rolle der Frau betreffen, das Frauenbild, den Umgang mit Frauen. Es braucht endlich und konsequent Gleichberechtigung. Diese fordern Theologinnen auf der ganzen Welt seit Jahrzehnten ein. Es braucht eine Kirche, in der das Geschlecht keine Rolle spielt, eine angstfreie Kirche ohne Männerbünde. Eine solche Kirche schafft ein gutes, normales und konstruktives Klima – für alle. Dies einzufordern und umzusetzen dürfte schwieriger werden.

Für viele Schweizer:innen ist die katholische Kirche weiterhin Heimat. Taufe, Erstkommunion, Heirat oder Tod – ihre Riten begleiten und stützen im und durch das Leben. Diese spirituelle Heimat ist beschädigt. Die Skepsis ist gross, ob die angedachten Änderungen tatsächlich zu einer Läuterung führen.

In meiner Internatszeit feierten wir oft Gottesdienste. Man erzählte uns von Jesus, dieser göttlichen Urkraft, die den Menschen ins Zentrum stellt. Die Armen, Verfolgten und Marginalisierten hatte er im Blick, eine bessere Welt, in der wir zueinander schauen. Wir feierten Gemeinschaft und brachen am Altar mit blossen Händen das Brot, direkt und unmittelbar. Das war mir Wegzehrung bis heute.

Andreas Krummenacher, Chefredaktor «pfarrblatt»

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