«Das Sterben hört sich anders an. Die Menschen atmen anders», beschreibt Petersen das Endstadium. Foto: Ruben Sprich

«Man sollte das Lebensende nicht überdramatisieren»

Zuständig für Altersfragen und Palliative Care: Barbara Petersen

Wie Sterbenden in ihrer letzten Lebensphase geholfen werden kann und wie Angehörige Unterstützung erhalten, weiss Gerontologin Barbara Petersen, die sich bei der Fachstelle Sozialarbeit der Katholischen Kirche Region Bern um die Vermittlung von palliativen Angeboten kümmert. Dabei verfolgt sie einen pragmatischen Ansatz, bei dem der Tod genauso wie die Geburt als normaler Bestandteil des Lebens betrachtet wird.

von Antonio Suárez

Die Geburt gehört genauso zum Leben wie der Tod. Doch während sich viele Paare auf die Geburt und das Elternsein in Kursen vorbereiten, treffen nur die wenigsten Vorkehrungen für das Lebensende, obwohl es auch dafür Unterstützung gibt. Solche Angebote koordiniert und vermittelt Gerontologin Barbara Petersen (48), die seit fünf Jahren bei der Fachstelle Sozialarbeit der Katholischen Kirche für die Bereiche Alter und Palliative Care zuständig ist.

«Die meisten denken, dass es nur um die letzten Stunden am Lebensende geht. Dabei deckt die palliative Begleitung einen viel längeren Zeitraum ab, der sich über mehrere Jahre erstrecken kann», räumt Petersen mit einem weitverbreiteten Missverständnis auf. «Bei der Palliativmedizin geht es eben nicht um die Unterlassung von Hilfeleistung, sondern im Gegenteil darum, die Lebensqualität des Sterbenden zu steigern.»

Die rein medizinischen und pflegerischen Aspekte machten dabei nur einen geringen Teil aus. Weitaus zeitintensiver sei die soziale und psychologische Arbeit. Die meiste Zeit verbringe man mit Angehörigen, Arbeitgeber:innen und Kindern, erklärt die studierte Betriebswirtschaftlerin, die sich nach fünfzehn Berufsjahren in der Unternehmensberatung über den zweiten Bildungsweg zur Gerontologin ausbilden liess, um mehr Zeit mit der Familie zu verbringen.

Engagiert als Freiwillige

Nebst ihrer Koordinations- und Vermittlungsarbeit engagiert sich Petersen auch in ihrer Freizeit. In Tandems ist sie als Freiwillige unterwegs und unterstützt Betroffene und deren Angehörige, indem sie zuhört und Hilfestellung bietet. Als Kursleiterin führt sie in Pfarreien und Kirchgemeinden zudem regelmässig Letzte-Hilfe-Kurse durch. Wie wichtig Vernetzung am Lebensende sein kann, wurde Petersen zum ersten Mal klar, als sie ihre Stiefmutter vor elf Jahren am Sterbebett begleitete. «Da merkte ich, dass Freiwillige ganz praktisch sind. Auch Nachbar:innen halfen damals viel aus. Am Ende bestand ein ganzes Netzwerk», erinnert sie sich.

In der palliativmedizinischen Praxis geht es oft um Testamente oder Patientenverfügungen. Viele Dinge müssen vor dem Eintreten des Unvermeidbaren geregelt werden. Darüber hinaus ist es die Aufgabe von Palliative Care, den Betroffenen mitzuteilen, wo sie Betreuungs- und Gesprächsangebote finden. Im Grossraum Bern sind viele Organisationen involviert. Nebst dem städtischen Palliativdienst bieten beispielsweise auch Vereine, diverse Spitex-Organisationen oder das Schweizerische Rote Kreuz Unterstützung an. Die Katholische Kirche kooperiert dabei mit allen Stellen und vermittelt die Betroffenen weiter.

Nicht nur alte Menschen sind betroffen

Im Idealfall beginnt die interdisziplinäre Betreuung, sobald die betreffende Person die Diagnose erhalten hat. Das Alter der Betroffenen reicht dabei vom Jugendlichen bis zur Hochbetagten. In aller Regel handelt es sich dabei um unheilbare Krankheiten. Krebs ist eine der häufigsten Diagnosen. Auch die Muskelerkrankung Amyotrophe Lateralsklerose – bekannt unter dem Kürzel ALS – kommt relativ oft vor.

«Bei ALS dauert es meist vier bis fünf Jahre. Bei dieser Krankheit wird der Gesundheitszustand kontinuierlich schlechter. Und man weiss auch, dass es nie wieder besser wird, weil es dafür keinerlei Behandlung gibt», erklärt die Gerontologin. Am kürzesten dagegen sei die Zeitspanne zwischen Diagnose und Eintritt des Todes bei Krankheiten wie Pankreaskrebs. «Hier sprechen wir meist nur von Wochen», so Petersen.

Dass Patient:innen nach der Diagnose einer unheilbaren Krankheit wider Erwarten genesen, komme zwar vor, bestätigt Petersen. Doch handle es sich in diesen Fällen meist um Fehldiagnosen. Weitaus anspruchsvoller sei es dagegen, wenn die Patient:innen viel länger lebten, als von den Ärzt:innen prognostiziert. Wenn also aus drei Monaten Restlebenszeit drei Jahre werden, dann ist das vor allem für die Angehörigen nicht einfach: «Das Leben geht weiter. Die Menschen müssen arbeiten gehen und Geld verdienen; und die Kinder müssen zur Schule», so Petersen. «Die grösste Herausforderung ist es, mit diesen Erwartungen umzugehen, vor allem wenn sie sich nicht mit dem decken, was dann tatsächlich kommt.»

Reaktionen sind nicht vorhersehbar

Bei den Patienten selbst beobachtet Petersen oft, dass sie auf die Diagnose mit Ungläubigkeit oder Nicht-wahr-haben-Wollen reagieren: «Zwar verstehen die Betroffenen im ersten Moment, dass sie sterben werden, hadern später aber dann doch wieder mit ihrer Situation.» Wichtig sei es, nicht zu werten, wie eine Person auf eine Krankheit reagiere. Und auch Ratschläge sollte man keine erteilen, ist die aus Hessen stammende Gerontologin überzeugt.

Ältere Lehrmeinungen und Erklärungsmodelle für die verschiedenen Phasen, die ein:e Patient:in von der Diagnose bis zum Tod erlebt, gingen von einem linearen Prozess aus, der von der anfänglichen Wut über das Verhandeln bis zur Akzeptanz reicht. Diese Modelle seien nach dem heutigen Stand der Forschung jedoch obsolet, betont Petersen.

Wie jemand konkret reagiere, könne man nicht vorhersagen. Dies sei je nach Person völlig unterschiedlich. Bei den Angehörigen seien die Verhaltensmuster ganz ähnlich, mit dem Unterschied, dass meist noch der Alltagsstress dazukomme, so Petersen. Auch fühlten sie sich mit der Bewältigung des eigenen Lebensalltags alleingelassen, weil sich der Fokus ganz auf die kranke Person richte. Auch Schuldgefühle seien oft im Spiel.

Am Ende dieses Prozesses geschieht das Unausweichliche. Der Patient tritt in die terminale Phase ein. Und dabei geschehen Dinge, die Unerfahrene oder Nichteingeweihte kaum einordnen können. «Das Sterben hört sich anders an», beschreibt Petersen das Endstadium. «Die Menschen atmen anders. Sie sehen auch anders aus, essen und trinken fast nichts mehr. Die biologischen Prozesse funktionieren nicht mehr, die Verdauung auch nicht. Der Körper macht quasi Shutdown», schildert Petersen die letzten Tage vor dem Tod. «Vielleicht befeuchtet man noch die Lippen und auch die Mundpflege ist wichtig, damit keine Pilze entstehen.» Zuviel Flüssigkeit oder Nahrung könne jedoch kontraproduktiv sein, weil sich daraus Komplikationen ergeben könnten, wie eine Lungenentzündung oder Magenprobleme. Auch solche biologischen Vorgänge erklärt Petersen in ihren Kursen.

In diesem Zusammenhang ist auch das bewusste Abschiednehmen von zentraler Bedeutung, etwa mit einem letzten Besuch von Freund:innen und Bekannten. Und auch bei der Beerdigung könnten Angehörige und Verwandte noch ein letztes Mal zusammenkommen, sagt Petersen. Persönlich zieht sie eine ordentliche Trauerfeier einer Abdankung im kleinen Kreis vor, weil so auch Nachbar:innen und Freund:innen am Abschied teilhaben könnten.

Keine grosse Sache

Das Sterben an sich sieht Petersen als normalen Bestandteil des Lebens. Kürzlich las sie eine Todesanzeige, in der stand, dass die Verstorbene gekämpft, aber letztlich den Kampf verloren habe. «Man kann das so sehen», so Petersen. «Aber eigentlich heisst das ja nichts anderes, als dass man sich quasi selbst die Schuld gibt, gestorben zu sein.»

Die Palliativexpertin ist dagegen, das Lebensende zu problematisieren. Auch überdramatisieren sollte man es nicht: «Menschen jeglichen Alters sterben Tag für Tag. Die allermeisten sterben, ohne dass es eine medizinische Unterstützung gibt. Viele sterben einfach daheim oder im Alters- und Pflegeheim, weil sie alt sind. Und es ist nichts Besonderes dabei. Das Sterben ist nichts Komplexes, sondern gehört einfach zum Leben dazu.»

Barbara Petersen arbeitet bei der Fachstelle Sozialarbeit in der katholischen Kirche Region Bern in den Bereichen Alter, Freiwillige und Palliative Care.

Veranstaltungshinweise:
Gedenkfeier der Offenen Kirche Bern für Menschen, die um Kinder und Jugendliche trauern, Heiliggeistkirche, Sonntag, 5. November 2023, 16 Uhr
Lichterritual «Blicklicht – Lichtblick» der drei Landeskirchen in Erinnerung an unsere Verstorbenen, Kapelle des Schosshaldenfriedhofs, Freitag, 24. November 2023, 19 Uhr

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