Martin Stewen ist Priester in Peter und Paul in Zürich. Foto: © Raphael Rauch

Zürcher Priester: Jetzt sind Kirchen gefordert

Kommentar von Martin Stewen

Leere Zimmer in Altersheimen, Kindergärten, Pfarrhäusern, Turnhallen, Privatwohnungen: Es gäbe Vieles, was Flüchtlingen anzubieten wäre. Wir sollten als Kirche in die Offensive gehen, denn: «Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen.» Ein Gastkommentar.

Von Martin Stewen*

Wenige Stunden nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine bin ich für einen Wochenendbesuch bei meinen Eltern in Deutschland angekommen. Wir haben viel Zeit miteinander verbracht – und davon sehr viel Zeit auch vor den Nachrichten und Talkshows im Fernsehen, die von diesem barbarischen Angriff handelten.

Was tut die Schweiz?

Beeindruckt haben wir wahrgenommen, wie sich rasant die Ansicht verbreitete: Nun muss helfen, wer helfen kann. Und dazu müssen vielleicht sogar auch alte Standpunkte und Meinungen, die als unverrückbar und in Stein gemeisselt galten, fallen.

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat am Sonntag dazu mit seiner Regierungserklärung ein beeindruckendes Beispiel geliefert. Mit Irritation hat meine Familie wahrgenommen, dass von Seiten der Schweizer Politik – zumindest zum Wochenende hin – in Sachen Handlungsbereitschaft und klarer Stellungnahme eher ein grosses Zaudern vorherrschte. «Nicht das erste Mal», habe ich erklärt.

Wo bleiben die Solidaritätsaktionen?

Nach dem Messbesuch am Sonntagmorgen, wo bereits erste Solidaritätsaktionen verkündet wurden, musste ich mich dann daheim fragen lassen: Und, wie hat’s die Schweizer Kirche denn? Schmerzlich getroffen gebe ich dieses Fragen nun weiter.

Welche unserer Pfarrgemeinden oder Behörden hat denn etwa – zum Beispiel auch in Kooperation mit der ukrainisch-katholischen Gemeinde der Schweiz – geschaut, was man jetzt bald an Solidaritätsaktionen und Unterstützung starten könnte?

Die Behörden zögern und zaudern

Wir müssen uns fragen lassen: Welche Träger haben sich einmal in ihren kirchlichen Institutionen – Altersheimen, Kindergärten, Pfarrhäuser, Schulen mit Turnhallen, Privatwohnungen etc. – umgeschaut und entdeckt, was man Behörden anbieten kann, um diesen eine Zusage zur Aufnahme von Flüchtlingen erleichtern zu können?

Wenn die Behörden zögern und zaudern, soll wenigstens nicht das Argument tragen, sie wüssten nicht, wie sie es machen sollten. Und nein, liebe Facebook-Kommentatoren, ihr müsst bitte nicht aufzählen, welche Regularien und Vorschriften dem alles im Wege stehen: Es ist Krieg mitten in Europa, zweieinhalb Flugstunden weg von Zürich.

Wir reden nicht von Wellness-Anlagen im Souterrain der Villa 

Schweizer Banken horten russisches Geld, das Menschen gehört, die womöglich diesen Krieg mittragen. Schweizer politische Gemeinden geben russischen Oligarchen Heimat, die wohl ohne direkten Zugang zum russischen Politik-Establishment kaum wären, was sie sind.

Nun könnten doch einmal die Schweizer Kirchen nach den Opfern deren Politik fragen, nach jenen Menschen, die vor russischer Kriegstreiberei um ihr Leben rennen müssen, die jetzt gerade alles aufgeben müssen, was sie haben. Und wir reden da nicht von Wellness-Anlagen im Souterrain der Villa und Blick auf den Zürichsee. Wie wär’s? «…Und ihr habt mich aufgenommen», heisst es doch. (kath.ch)

* Martin Stewen ist Priester des Bistums Chur.

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