Für Pater Martin Föhn SJ ist Gott und Liebe dasselbe. / Foto: jesuiten.org

Mehr als ein Gefühl

Pater Martin Föhn über Gottes bedingungslose Liebe

Liebe entsteht aus Beziehung und ist viel mehr als ein romantisches Gefühl. Liebe durchdringe alles in der Welt und sei letztlich das Leben selbst. Diese allumfassende Liebe zu erkennen, mache uns freier, erklärt Pater Martin Föhn SJ* – einst gelernter Landwirt, heute Philosoph und Theologe. Die Mystikerin Margareta Porete kam vor 700 Jahren zum selben Schluss.

von Daniela M. Meier

Jedes Jahr erscheinen Bücher mit Empfehlungen, wie wir unser Liebesleben am besten gestalten. Mona Chollet erklärt uns gar, «warum wir die Liebe neu erfinden müssen» (DuMont, 2023). Solche Bücher fokussieren vielfach darauf, wie zwei Liebende ihre Macht untereinander verteilen und wie man sich vor Machtmissbrauch schützen kann.

Liebe könne aber viel weiter gefasst werden als ein romantisches Gefühl zwischen zwei Menschen und im erweiterten Sinne befreiend wirken, findet der Jesuitenpater Martin Föhn. In einer Anleitung zur Fasten- und Osterzeit erläutert er, dass es keine radikalere Beziehung als die zu Gott gibt. Gott sei unfassbar und doch näher als die Halsschlagader. Wer sich auf die Beziehung zu Gott einlasse, werde unabhängiger von allen anderen Beziehungen.

Ich traf Pater Föhn zum Gespräch in der Katholischen Unigemeinde in Basel und fragte ihn, wie sich Liebe ausdrücke – abgesehen von menschlichen Gefühlen. Das, was wir als Liebe empfänden, sei nur ein kleiner Aspekt dessen, was Liebe wirklich ist, antwortete Pater Föhn und weiter: «Für mich ist Gott und Liebe identisch. Sie drückt sich aus im tiefsten Sein. Seine Liebe ist das, was alles durchdringt und am Leben erhält und letztlich Leben selbst ist.» Als Menschen könnten wir Gott niemals ganz erfassen, aber ihn innerlich wahrnehmen und ihm so nahekommen.

Natürlich seien wir völlig angewiesen auf die Umwelt, aber Gott verbinde alles in der Welt: Gott sei die tiefste Ebene, die alles zusammenhält. Mit Gott in Beziehung zu gehen, bedeute, auf einer tieferen Ebene mit der Welt verbunden zu sein – mit dem Göttlichen in den anderen Menschen und der Umwelt. «Und das macht uns insofern freier, weil wir dann merken: Wir sind bereits in Beziehung und wir kriegen das, was wir benötigen, von Gott her», erklärt Pater Föhn. Gott als Liebe sei in uns drin und kenne uns am besten. Es gelte, bei sich innerlich nachzuspüren, was einem guttue und wirklich wichtig sei: «Was ist das Verbindende, was ist das Göttliche? Wo ist Lebendigkeit, Freude, Frieden – Gerechtigkeit?» Wenn wir das erkennen und dem folgen würden, dann mache uns das letztlich freier, liebevoller und öffne uns auf den anderen hin.

Die Liebe in «Spoken Word»

Diese radikale Beziehung zu Gott ist vergleichbar mit der Beziehung zum «Fernnahen» von Margareta Porete (1250/60– 1310). In ihrem Buch zeigte sie, wie eine Menschenseele im unermesslich grossen Beziehungsraum zu Gott ihre Freiheit findet. Margareta versuchte ihren Zeitgenoss:innen die Liebe Gottes in Form von «Spoken Word» näher zu bringen, das vermutlich vor Publikum aufgeführt wurde. Darin traten als Hauptfiguren «Liebe» und «Verstand» im Wettstreit gegeneinander an und warben um die Figur «menschliche Seele».

Margarete erfuhr diese Liebe selbst als treibende Kraft, um sich mitzuteilen, und blieb unbeeindruckt, als ihr Buch «Der Spiegel der einfachen Seelen» öffentlich verbrannt wurde. Ebenso wenig konnten wohlwollende Kirchenleute sie dazu motivieren zu schweigen. Wegen 15 Sätzen, welche die Inquisition aus dem Buch mit 139 Kapiteln herausgepickt hatte, wurde Margareta schliesslich 1310 in Paris öffentlich verbrannt. Trotzdem zirkulierte das Buch ohne ihren Namen weiter und beeinflusste namhafte Theologen und Mystiker:innen in ganz Westeuropa.

Margareta war es wichtig, dass wir Gott nicht wegen seiner Gaben lieben, sondern einfach um seiner selbst willen. Wir sollen uns Gott zuwenden, ohne dass es uns etwas nützt, weil umgekehrt auch Gott die Menschenseele masslos und grundlos liebt. Wenn die Seele dies erkenne, werde sie von der göttlichen Liebe völlig erfasst. Können wir diese Liebe mit unseren Sinnen erfassen oder bilden wir uns das ein?

Pater Föhn glaubt nicht, dass es Einbildung ist. Als Beispiel nennt er einen Sonnenuntergang, den wir sinnlich wahrnehmen und vielleicht als Zeichen göttlicher Liebe interpretieren. Ein solches Erlebnis deuten wir unbewusst als Gefühl und ordnen es mit Hilfe von Denkkategorien oder Glaubensüberzeugungen ein. Diese Einordnung mit dem Verstand könne uns aber auch hindern, in diese allumfassende Liebe hineinzukommen. Besonders die Überzeugung, dass wir getrennt von Gott seien, gelte es abzulegen. «Wir dürfen glauben», sagt Pater Föhn, «dass Gott uns wirklich bedingungslos liebt. Und wenn wir in dieser Liebe bleiben wollen, dann werden wir uns automatisch liebevoller zu den Dingen verhalten.» Jedenfalls wenn wir erkannt hätten, dass diese Liebe in allen Dingen sei.

«Ich bin nichts und ich bin alles»

Das Machtgefälle zwischen Gott und uns Menschen ist ja immens gross. Ist da eine erwachsene Beziehung überhaupt möglich? Pater Föhn lacht und schüttelt den Kopf: Wie könnte er als Menschlein dem Schöpfer des Universums auf Augenhöhe begegnen wollen? Er erklärt: «Ich werde mit Gott niemals auf Augenhöhe sein können.

Also: Einerseits muss ich eingestehen, dass ich gar nichts bin. ‹Nüt!› Und andererseits habe ich Anteil an diesem Göttlichen; ich bin Sohn Gottes im Heiligen Geist, wie der Heilige Paulus sagt. Wir sind Erben Christi; durch ihn bin ich auch Licht der Welt.» Weil wir Anteil an Gott haben, würden wir auch Verantwortung an dieser gigantischen Schöpfung tragen.

In Margaretas Sprechtheater tritt die göttliche Liebe als Person auf und somit fehlt ein Vermittler zwischen der Seele und Gott. Welche Rollte spielt eigentlich Jesus Christus in unserer Beziehung zu Gott?

Pater Föhn holt etwas aus und erläutert, dass wir Gott nur wahrnehmen können, wenn wir unser leibliches Leben voll verkosten. So wie Jesus Christus – der Mensch gewordene Gott – quasi die materielle Existenz voll durchlebt und diese durch seine Auferstehung in Gott hineingenommen hat. «Wir haben eigentlich keine Ahnung, wer Gott ist, aber Christus hat uns eine Idee davon gegeben, wie wir mit Gott in Beziehung treten können.

Christus ist viel mehr als der historische Jesus und dieser Christus ist in uns – durch den Heiligen Geist, den er uns gesandt hat. Es gilt, diesen Christus in uns zu entdecken.» In diesem Sinne brauche es ihn als Mittler, weil Gott so gross sei.

 


* P. Martin Föhn SJ kam 1982 auf einem Bauernhof im Muotathal SZ zur Welt und wuchs im Bergtal auf. Zunächst bildete er sich zum Landwirt aus, aber zwei Jahre später begann er mit dem Studium der Religionspädagogik und war als Religionslehrer und Jugendarbeiter tätig. Nach seinem Eintritt als Novize bei den Jesuiten studierte er in München Philosophie und schloss mit einem Bachelor ab. Nach zwei Jahren Arbeit in der Hochschulseelsorge am aki in Zürich folgte ein Master in Theologie und eine Mediatorenausbildung in Paris. Im Jahr 2020 wurde er zum Priester geweiht. Seither leitet er die Jesuitenkommunität in Basel und den Fachbereich Bildung und Spiritualität der römisch-katholischen Kirche Basel-Stadt. Seit 2023 koproduziert er den Podcast «einfach beten!»: www.einfach-beten.org
 

Literatur:
In die Leere hineinleben. Durch die Fasten- und Osterzeit mit 12 Jesuiten, Hg. Franz-Xaver Hiestand SJ. Zürich (TVZ) 2022.
Margareta Porete: Der Spiegel der einfachen Seelen. Mystik der Freiheit, Hg. u. übers. von Louise Gnädinger. Kevelaer (topos) 2017 (2. Aufl.).

 

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