An der Medienkonferenz zur Pilotstudie waren: Renata Asal-Steger (1.), Bischof Joseph Bonnemain (2.v.l.), Marietta Meier (4.v.l.), Monika Dommann (5. v.l.) und Opfervertreter Jacques Nnuoffer (6.v.l.) Foto: Moritz Hager

«Mein Ziel war es, heute nicht zu weinen»

Eine Nachlese zur Medienkonfrenz Pilotstudie Missbrauch

An der Medienkonfrenz zur Präsentation der Pilotstudie Missbrauch im kirchlichen Umfeld war von Schuld, Fehlern und Massnahmen die Rede. Medien stellten hartnäckige Fragen. Eine subjektive Nachlese des «pfarrblatt».

Von Sylvia Stam

Mit eindrücklichen Worten eröffnete Renata Asal-Steger die Medienkonferenz: «Es bedrückt und beschämt uns. Wir suchen nach Worten und wissen, dass wir nicht die richtigen finden. Dass wir besser schweigen sollten. Denn geredet wurde schon viel. Doch wir haben am Thema vorbeigeredet.»

Dennoch kann und darf man nicht schweigen in Anbetracht dessen, was an diesem Vormittag an der Universität Zürich präsentiert wurde («pfarrblatt» berichtete). «Heute ist ein wichtiger Tag für die römisch-katholische Kirche Schweiz», so Asal-Steger weiter. Ein Tag, vor dem manche Angst häten, «weil die heutigen Ergebnisse ihre Kirche noch mehr in Verruf bringen.» Dennoch sei sie dankbar um den heutigen Tag.

«Mein Ziel war es, heute nicht zu weinen», sagte Vreni Peterer, Präsidentin der Betroffenenvereinigung IG Miku. Doch «beim Zuhören konnte ich meine Gefühle nicht mehr zurückhalten und ich schäme mich nicht mehr dafür. Viele Betroffene werden weinen, wenn sie das hören.» Sie erinnerte daran, dass hinter den 1002 «Fällen» Menschen stecken. Nicht nur Betroffene, sondern auch Familie und Freund:innen. Ein Satz im Bericht habe sie besonders getroffen: «Ein Priester hat mindestens 67 Kinder missbraucht.»

Hohe Dunkelziffer

Marietta Meier, zusammen mit Monika Dommann Leiterin des Forschungsprojekts, erinnerte an die hohe Dunkelziffer unbekannter Fälle. Die 1002 erwähnten sind nur jene, die gemeldet, dokumentiert und deren Dokumente nicht vernichtet wurden. Denn das Kirchenrecht sieht vor, dass Dokumente über Sexualdelikte vernichtet werden müssen, wenn das Urteil zehn Jahre zurückliegt oder der Schuldige verstorben ist.

Gegen diese Vorschrift im Kirchenrecht sprach sich auch Bischof Joseph Bonnemain aus. Mit emotionalen Worten versprach er, dass es «keine Vernichtung von Akten mehr» geben werde, «die im Zusammenhang mit Fällen sexuellen Missbrauchs stehen oder den Umgang damit dokumentieren.» «Die kirchliche Vorschrift, regelmässig Akten aus Geheimarchiven zu vernichten, wird nicht mehr angewendet. Dazu haben wir uns alle in einer Selbstverpflichtung bereit erklärt», so Bonnemain.

Auf die Frage eines Journalisten, was der Vatikan zu dieser Selbstverpflichtung sage, meinte Bonnemain: «Ich weiss es nicht. Wenn jemand dort protestiert, nehme ich das auf meine Kappe.»

«Wir müssen mit dieser Schuld leben»

«Wir können uns nicht einfach entschuldigen», so Bonnemain in seinem Statement weiter. «Das wäre ein Affront. Vielmehr müssen wir mit dieser Schuld leben und Verantwortung übernehmen, indem wir alles unternehmen, die Risiken zu minimieren.»  

Auf die Frage, ob die neuen, unabhängigen Meldestellen Weisungsbefugnis hätten, gab Bonnemain keine klare Antwort, ebenso wenig auf die Frage, welche Kontrollmechanismen die SBK plane, um auch in den Missionen Missbräuche zu verhindern. Diese sind in den für das Forschungsprojekt ausgewerteten Archivbeständen unterrepräsentiert. Dass die Archive der Nuntiatur in Bern und jene der Glaubenskongregation in Rom für das Forschungsteam geöffnet werden, dafür will sich Bonnemain persönlich beim Papst einsetzen, wie er gegenüber den Medien sagte. Schwammig blieb seine Antwort auf die Frage eines reformierte Redaktors, wann die katholische Kirche es schaffe, aus der Spirale interner Untersuchungen herauszukommen.

Offen blieb systembedingt auch die Frage, ob sich wirklich grundlegend etwas ändern könne, solange der Vatikan keine Gewaltenteilung einführe. «Ich hoffe, dass wir Wege finden werden, diese Macht zu teilen. Ich muss versuchen, den Papst zu ermutigen, in diese Richtung zu arbeiten», so Bonnemain.

Die Verantwortung des Staates

Abt Peter von Sury, Vertreter des Dachverbands der Ordensgemeinschaften (Kovos), sprach die Rolle von Ordensleuten in katholischen Schulen und Heimen an, die oftmals von Ordensfrauen geführt wurden: «Die Studie kommt auf einen heiklen Sachverhalt zu sprechen, der mich als Mann und Priester angeht, nämlich das asymmetrische Verhältnis, das seit Jahrhunderten die Beziehungen zwischen Frauen- und Männerorden kennzeichnet». Dieses ist darin begründet, dass nur Männer zu Priestern geweiht und damit geistliche Vollmachten innehaben können. Das habe dazu geführt, dass «die misshandelnden Ordensfrauen ihrerseits oft Opfer eines Systems waren, das geprägt war von einem überfordernden Armutsideal und von einer strikt patriarchalen Ordnung».  Ordensfrauen seien oft als billige Arbeitskräfte eingesetzt worden, «da sie – so die damalige Überzeugung – ihre religiöse Berufung in einer Einrichtung für Kinder besonders gut verwirklichen konnten.» Solche religiösen Ideale und Normvorstellungen müssten hinterfragt und revidiert werden.

Ein Thema, auf das auch Lucas Federer, Mitglied des Forschungsteams, im Zusammenhang mit der Folgestudie zu sprechen kam. Diese müsse der Fragen nachgehen, inwiefern katholische Vorstellungen von Caritas und Nächstenliebe sowie das Armutsideal sexuellen Missbrauch begünstigt hätten. Ebenso sei die Frage nach der Verantwortung des Staats zu klären, der diese Aufgaben an die Kirche delegierte.

20 Jahre zu spät

«Die Schweizer Bischofskonferenz hat intern zu lange gerungen», sagte Projektleiterin Monika Dommann. «Für uns war von Anfang an klar, dass es sich um ein Pilotprojekt handelte, auch um Kooperationsbereitschaft der Partner zu testen.» Die katholische Kirche hätte diesen Prozess mindestens vor 20 Jahren anstossen müssen.

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